© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/97  04. April 1997

 
 
Kino: Spielfilmmekka Hollywood entzückt über deutsche Filmtüftler
Oscars aus dem Hobbykeller
von Ilse Meuter

Bei der heurigen Oscar-Verleihung in Los Angeles gingen die großen US-Studios nahezu leer aus: Ob Hollywood sich selbst eins auswischen wollte? Selbst dort mehren sich kritische Stimmen, die großen Filmkonzerne zielten mittlerweile zu sehr auf den Markt und vernachlässigten den künstlerischen Anspruch. Freilich wird selbst der grantigste Beckmesser technische Versiertheit Hollywoods nicht in Frage stellen können. Und exakt diese Dimension des globalen Brain-Transfers zugunsten der USA wird derzeit von deutschen Zulieferern dominiert.

Drei hiesigen Tüftlern gelang es die Ehre der Oscaraltäre zu erlangen: Thomas Stellmach (31) und Tyron Montgomery (29), Absolventen der Hochschule Kassel, erhielten den medialen Ritterschlag für ihren ungewöhnlich ausdrucksstarken Trickfilmstreifen "Quest". Volker Engel (32), Filmakademie Ludwigsburg, schuf nach Ansicht der kalifornischen Jury in "Independence Day", dem Kassenknüller des deutschen Regisseurs Roland Emmerich, die besten visuellen Spezialeffekte. Wer diesen Katastrophenfilm so wie den nun ausgezeichneten "Quest" kennt, mag zumindest das Deutschland der künstlerischen Expression für nach wie vor apokalypseträchtig halten.

Die "Ausländer" Engel und Emmerich schaffen es in besagtem Sensationsstreifen nicht nur, die Metropole ihres Gastlandes, die (heimliche) Welthauptstadt New York, einzuäschern, sondern lassen das Weiße Haus gleich mitexplodieren. Dabei überlaufen den gemeinen US-Bürger wohlige Schauer, denn als gleichsam naturwüchsiger echter Liberaler verabscheut er den autoritären Zentralismus der dortigen Cliquenwirtschaft als das Unamerikanischste, was sich denken läßt. Die Bilder zu solch klandestinem Entzücken liefern junge Männer aus Good old Germany. Honi soit qui mal y pense …

Völlig anders kommt der prämierte Trickfilm aus Kassel daher: Asketisch, was Color, Aktion und Ambiente anlangt, gibt "Quest" eine Parabel für jene prekäre Situation, in die sich die Gattung unter modernen, ergo weitestgehend selbstgeschaffenen Bedingungen zu verstricken droht. Das sandige Männlein schlägt uns elf Minuten in seinen Bann (dankenswerterweise konnte es jüngst im ZDF bewundert werden) und trägt genialisch visualisiert den Mythos von Sisyphus vor, die Angst vor dem In-der-Welt-sein-als-solchem, das Faustische angesichts der Versuchung zum Fatalismus, die condition humaine, ihr naturhaftes Stirb-und-werde. Gleichwohl hindert am wenigsten "Quest" selbst den Betrachter, sich angesichts dieses Wunderwerks symbolgewaltiger Evokation in postmoderne Naivitätssimulation zu retten, und das Ganze "deeskalierend" als "rührende Geschichte einer possierlichen Sandfigur" (Focus) zu trivialisieren. Daß solche Leistung der vis imaginativa just in Los Angeles gefeiert werden, mag Zeitgenossen, die in Kulturpessimismus reisen, nur ein müdes "so what" entlocken.

Die Zukunftsfreudigen (eben nicht: "Optimistischen"!) aber bestärkt das erfreuliche Ereignis in ihrer Überzeugung, es sei noch längst nicht aller Tage Abend in Sachen "Kultursynthese" (Ernst Troelsch). Daß Gegreine über Kommerz und Dekadenz und Verfall sollte nach 4,5 Generationen endlich als abgebraucht gelten, plausibel konnte es sich eh nie machen. Rechte Glückwünsche nach Hollywood, Ludwigsburg und Kassel.


 
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