© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/97  04. April 1997

 
 
Tierschutzbericht ’97: Umwelt-Kosmetik statt verbesserter Tierschutz
Gravierende Verstöße
von Michael de Wet

In diesem Frühjahr wurde von Landwirtschaftsminister Jochen Borchert der 5. Tierschutzbericht dem Bundestag vorgelegt. In dem Bericht, der sich über den Zeitraum der vergangenen zwei Jahre erstreckt, konstatiert der Minister "zum Teil erfreuliche Tendenzen" für das Berichtsjahr 1996. So sei die Zahl der in Deutschland eingesetzten Versuchtstiere weiter zurückgegangen. Sie habe sich von 1991 bis 1995 von rund 2,4 Millionen auf 1,6 Millionen verringert. In dieser Zahl sind allerdings nur Wirbeltiere enthalten. Mehr als 80 Prozent der Versuchstiere waren Nagetiere, vor allem Ratten, Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen. Dem Bericht ist allerdings auch zu entnehmen, daß die Zahl der Versuchstiere unter den Amphibien und Vögeln im Zeitraum 1991-1995 deutlich zugenommen hat und bei Hunden und Katzen keine spürbare Abnahme der Zahlen feststellbar ist.

An der Objektivität dieser Zahlen soll nicht gezweifelt werden, wohl aber an ihrer Aussagekraft. Der Tierschutzbericht erfaßt nur einen Teil der tatsächlich in Deutschland stattfindenden Vivisektion. Nicht erfaßt sind beispielsweise all jene Tiere, die zur Impfstoffherstellung oder zu Lehr- und Demonstrationszwecken an Hochschulen und in der Aus-, Fort- und Weiterbildung eingesetzt werden. Auch darf bezweifelt werden, ob die deutschen Pharmakonzerne tatsächlich die Zahl ihrer Versuche reduziert haben. Der Rückgang der Tierversuche in Deutschland hat jedenfalls in nicht unbedeutendem Maße damit zu tun, daß die Versuche ins Ausland verlagert wurden.

In seiner Presseverlautbarung betonte Borchert außerdem, daß "die Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere schrittweise verbessert" wurde. Worin diese Verbesserungen bestanden, wurde allerdings nicht näher konkretisiert – was angesichts immer wieder ruchbar werdender Skandale in der tierquälerischen Legehennen-Batteriehaltung auch einem Kunststück gleichgekommen wäre. Als Erfolg wertete der Landwirtschaftsminister die Ende Januar erfolgte Zustimmung des Bundesrates zur

Tierschutz-Transportverordnung, die EU-Recht umsetze und zugleich die noch aus den Dreißiger Jahren stammenden deutschen Schlachtvorschriften deutlich verbessere. Allerdings mußte Borchert einräumen, daß es gerade "im Bereich der Tiertransporte nicht gelungen ist, unsere Vorstellungen in vollem Umfange durchzusetzen" und die EG-Richtlinien "lange Übergangszeiten" bei der Angleichung ihrer Bestimmungen an das strengere nationale Recht in Deutschland vorsehen.

Besonders hervorgehoben wird in dem Bericht schließlich der im Bundeskabinett im Oktober 1996 beschlossene Entwurf eines geänderten Tierschutzgesetzes. Aus Sicht der Bundesregierung stellen die darin festgelegten Bestimmungen Verbesserungen für den Tierschutz dar, während Tierschützer diesen Entwurf als Rückschritt bezeichnen. Vor allem das in diesem Entwurf festgeschriebene grundsätzliche Verbot von Tierversuchen für dekorative Kosmetika wird als buchstäbliche "Umwelt-Kosmetik" bezeichnet, da für Vivisektion in diesem Bereich gerade zwei Prozent aller Tierversuche ausmache. Die Tierschutzverbände wittern in der starken Hervorhebung der Verbote von Versuchsreihen für "make up" daher ein Ablenkungsmanöver von den gravierenden Verstößen gegen den Tierschutz wie die Massentierhaltung und den Umstand, daß weit mehr als die Hälfte der Versuchstiere im Bereich der Pharamaindustrie für die Entwicklung und Prüfung von Arzneimitteln eingesetzt werden. Die Abkehr von Pharmaka und die Hinwendung zu Naturheilmitteln wäre somit zugleich ein konkreter Schritt gegen weitere Tierversuche, der in der Hand der Verbraucher beziehungsweise Patienten liegt.


 
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