© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/97  04. April 1997

 
 
Zuschußbetriebe in Ost und West
Doppelzüngigkeit bei den Subventionen
von Ronald Schröder

Die Steuersubventionierung der Steinkohle (1997 bis 2005 68,2 Mrd. DM; davon 58,6 Mrd. DM vom Bund, 9,6 Mrd. DM aus Nordrhein-Westfalen und keine DM aus dem Saarland) ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Ministerpräsident Rau verweist dabei stets auf die Landwirtschaft. Diese erhielt allein 1995 Subventionen über 30,2 Mrd. DM (die Steinkohle im selben Jahr 11,3 Mrd. DM). Der Bundesregierung fällt die notwendige Kürzung der Subventionen im Revier leichter, als in der traditionell konservativ wählenden Bauernschaft, notwendig aber wäre sie in allen Bereichen.

Derweil fordern Politiker der neuen Bundesländer, die energisch gegen den Abbau von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in ihren Ländern Sturm laufen, von den Beschäftigten im Westen dieselbe Bereitschaft zum Strukturwandel, vor dem sie die Menschen in den neuen Bundesländern am liebsten bewahren würden. Von nur noch in Wahlperioden kalkulierenden Politikern werden strategische Interessen einer ganzen Nation den kurzfristigen Wünschen der Betroffenen des eigenen Wahlkreises bedenkenlos untergeordnet.

Wirklich eigene politische Überzeugungen scheinen nicht mehr vorhanden zu sein. Man hetzt Berufsstände aufeinander, rechnet Branchen gegeneinander auf und spielt Regionen gegeneinander aus, wobei man für die eigene Klientel stets das fordert, was man bei anderen auf das Heftigste kritisiert. Besonders zynisch ist das Aufrechnen von ,,deutlich unsozialerem Vorgehen in den neuen Bundesländern" und ,,dort sinnlos vergeudeten Finanzmitteln". Rechnen die einen jede Autobahn in Sachsen zum ,,Aufbau Ost", betrachten den Bau einer Autobahn in Baden- Württemberg aber selbstverständlich als normale Bundesaufgabe, klagen die anderen über die gesamtwirtschaftlich absolut notwendige radikale Umstrukturierung der ostdeutschen Braunkohle, wo, aufgrund einfach nicht bezahlbarer Kosten, auf eine Sozialverträglichkeit des Arbeitsplatzabbaus verzichtet werden mußte, kritisieren nun aber genau diese Sozialverträglichkeit beim Abbau der Steinkohlesubventionierung.

Wo sind die Politiker der neuen Bundesländer, die einmal darauf aufmerksam machen, daß es auch in den neuen Bundesländern vielen Menschen seit 7 Jahren vom Lebensniveau deutlich besser geht? Ebenso vermißt man das Eingeständnis der Politiker der alten Bundesländer, daß ohne die deutsche Einheit das Bruttoinlandsprodukt der alten Bundesländer um ca. 200 Mrd. DM niedriger liegen würde.

Neid und Mißgunst sind keine gesunde Grundlage einer Gesellschaft. Auf diese Weise schürt man lediglich eine sich wechselseitig aufschaukelnde Empörung. Im Westen erhält man alte Industrien mit Subventionen am Leben und im Osten fließt ein Großteil der Transfers in den Konsum. Politiker, für die Politik nur noch aus Dauerwahlkampf und der Regelung eigener Versorgungsansprüche besteht, verspielen die Chancen der deutschen Einheit. Die Annahme, daß immer die Anderen bezahlen, täuscht.


 
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