© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Türkei: Antideutsches als neuer Dauerbrenner in der Presselandschaft
Krefeld und die EU-Beitrittsdebatte
von Tamer Bacinoglu

Der eine will uns nicht in seinen Verein aufnehmen, der andere will gar nicht rein." Mit diesen Worten skizzierte Ertugrul Özkök, Chefredakteur des Massenblattes Hürriyet, am 31. März das neue deutsch-türkische Dilemma mit den Protagonisten Kohl und Erbakan.

Folgt man Özkök, so sind die inzwischen seit etlichen Wochen in der türkischen Presse verbreiteten hemmungslosen deutschfeindlichen Äußerungen des islamistischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan und verschiedenerer seiner Gefolgsleute wohl kalkuliert: Sie sollen das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen der Türkei und den EU-Mitgliedsstaaten vollends vergiften, um Außenministerin Tansu Çiller mit dem Vorwurf einer mißlungenen Europapolitik bloßstellen zu können.

Seit dem Brandanschlag von Krefeld am Ostermontag scheint sich nun auch die von Skandalen bedrängte Außenministerin derselben Rhetorik zu bedienen wie Erbakan, der die Bundesregierung sogleich einer Mitschuld bezichtigte. Allerdings bedient sich Frau Çiller eines bewährten Sprachrohrs in Gestalt der Innenministerin Meral Aksener.

Politischen Beobachtern zufolge unternimmt Frau Aksener keinen Schritt auf dem glatten Eis der Politik, ohne sich zuvor bei ihrer Kabinettskollegin abgesichert zu haben. So dürfte diese auch ihr Ja-Wort gegeben haben zu der von der halbamtlichen Nachrichtenagentur Anatolia zitierten skandalösen Äußerung Akseners in bezug auf die in Deutschland lebenden Türken: "Sie können uns nicht rausschmeißen, aber jetzt verbrennen sie uns!" Diese von Innenminister Kanther als "unerträgliche Verlautbarungen" bezeichneten Worte markieren den tiefsten Punkt in den deutsch-türkischen Beziehungen seit langer, langer Zeit.

Allerdings diente zuletzt vor dem Hintergrund sich zuspitzenden internen türkischen Parteiengerangels nicht nur Deutschland als Zielscheibe der Polemik aus dem türkischen Innenministerium. Für einigen Wirbel sorgte auch die Beschimpfung von PKK-Chef Öcalan als "Armenierabkömmling". Meral Aksener mußte sich daraufhin bei der kleinen armenischen Gemeinde des Landes entschuldigen, obwohl sie "es ja gar nicht so gemeint" habe.

Auch nach dem Bekanntwerden des Tatverdachts gegen den türkischen Familienvater Aziz Demir, der offenbar die Schuld an dem Tod seiner Frau, einer Tochter und eines Sohnes in dem Krefelder Hochhaus trägt, flüchtete sich die vollmundige Deutschland-Kritikerin in angebliche Mißdeutungen eigener Äußerungen durch die Medien.

Obwohl man jetzt in Ankara mit dem Kitten der diversen Risse im deutsch-türkischen Verhältnis zu beginnen scheint, bleibt die bezeichnende Beobachtung, daß nach dem Brandanschlag von Krefeld fast die gesamte Presse in einen antideutschen Rassismusverdacht einstimmte, während ein etwa zur gleichen Zeit erfolgter, tatsächlich fremdenfeindlich motivierter Anschlag im niederländischen Den Haag ungleich weniger Schlagzeilen verursachte. Und unterschiedliche Instanzen und politische Gruppierungen vertreten noch immer hartnäckig die These, daß die deutsche Politik zu fremdenfeindlichen Attacken regelrecht anrege.

Als Stichwortgeber für diesen Vorwurf fungierten jedoch deutsche Politiker selbst, genauer gesagt Abgeordnete von SPD und Grünen. Daß die "ablehnende Haltung der Deutschen gegenüber der Integration der Ausländer, allen voran der Türken, die rassistischen Attacken" verstärke, dies gehörte auch zu den Ergebnissen einer seelenkundlichen Analyse der letzten Ausgabe der renommierten Zeitschrift The Economist.

Der Zusammenhang all dieser Polemiken mit der schlagzeilenträchtigen, für die Zukunft der Türkei ungeheuer wichtigen Debatte um einen EU-Beitritt liegt auf der Hand: In weiten Kreisen der türkischen Öffentlichkeit besteht heute ein parteienübergreifender Konsens dahingehend, daß es Deutschland sei, das als Haupthindernis auf dem Weg zum Beitritt in die europäische Staatengemeinschaft fungiere. Bereits im vergangenen Jahr hatte Cetin Altan, einer der bekanntesten Literaten der Türkei und ehemaliger Sozialist, behauptet, daß Deutschland alles tue, um die Türkei aus der EU herauszuhalten, was direkt mit der deutsch-amerikanischen Konkurrenz zusammenhänge (Sabah vom 30. Oktober 1996). Dieselbe Ansicht vertrat auch ein wichtiger Außenpolitik-Experte der oppositionellen Mutterlandpartei ANAP, der in der Tageszeitung Zaman (dem Organ der einflußreichen Nurcu-Sekte) am 7. März dieses Jahres davon sprach, daß die USA unbedingt die Aufnahme der Türkei in die EU erreichen wolle, die deutsche Regierung sich jedoch gegen diesen Plan stemme.

Ausgelöst wurde die jetzige massive Krise im deutsch-türkischen Verhältnis vor allem durch die Pressemeldungen, daß der frühere belgische Ministerpräsident Martens am 4. März auf einem Treffen der Vorsitzenden der zumeist christlich-demokratischen Parteien, die sich zur Europäischen Volkspartei (EVP) zusammengeschlossen haben, eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU kategorisch abgelehnt habe. Dies sei die übereinstimmende Auffassung der Teilnehmer, hieß es dazu. Der Name Martens wurde aber in den türkischen Medien nur noch nebenbei erwähnt.

Obwohl das Treffen der EVP ein "vertrauliches" war, verbreitete sich sehr schnell die Nachricht, daß auch Kanzler Kohl sich "aufgrund zivilisatorischer Differenzen" gegen die Aufnahme der Türkei in die EU ausgesprochen habe und dieses Land als ein "asiatisches" charakterisierte. Die Dementis aus der deutschen Botschaft in Ankara lösten nicht weniger Verwirrung aus, da Joachim Bitterlich als Kohls wichtigster außenpolitischer Berater die Position des Kanzlers zeitgleich bestätigte. Inwieweit hier Bedenken vor einem weiteren starken Zuzug von Türken in die Bundesrepublik als Folge des EU-Freizügigkeitsgebots eine Rolle spielen, kann bislang nur vermutet werden. Man weiß in der Türkei jedenfalls, daß ohne Deutschland in Europa nichts läuft. Wenn nun der vermeintlich mächtigste Mann in Europa sagt, die Türkei mit ihren 65 Millionen Einwohnern sei ein "asiatisches Land" mit "fundamentalistischen Strömungen", so kann man sich gut vorstellen, wie gerade jenen Türken zumute ist, die in der europäischen Aufklärung ihr Ideal sehen und für die der formale Anschluß an Europa nicht nur eine Kassenfrage ist. "Geradezu mysteriös ist es", schrieb der ehemalige Chef der türkischen Zentralbank, Sadiklar, "wie die Türkei, die im Assoziierungsabkommen von 1963 als ein europäisches Land registriert wurde, nun 34 Jahre später von denselben Europäern nach Asien versetzt wird" (Hürriyet vom 15. März 1997).

Mümtaz Soysal, ehemaliger Außenminister und Mitglied der Partei der nationalgesinnten demokratischen Linken Ecevits, folgt der kemalistischen Idee von "Verwestlichung" (Garblilaschmak), wenn er nationalistischen und islamistischen Vorwürfen einer "blinden Nachbeterei Europas" entgegenhält, daß die zivilisatorischen Errungenschaften dieses Kontinents entscheidend seien.

Allein diese Errungenschaften könnten die eigene Nation befähigen, "den häßlichen Arm desselben (europäischen; Anmerkung des Verfassers) Imperialismus fernzuhalten" (Cumhuriyet vom 12. März). Da Deutschland einerseits gegen eine türkisch-europäische Annäherung sei und andererseits allen reaktionären Bewegungen, von den islamischen Fundamentalisten bis zu kurdischen Chauvinisten aus Anatolien, Unterschlupf gewähre, seien Vorwürfe gegen die Politik Bonns nur konsequent, erklärte Soysal. Scheinheilig kritisierte im März auch ein Teil der Islamisten, die sonst bei jedem Gebet den "gottlosen Westen" verfluchen und von einer Weltherrschaft des Islam träumen, den "skandalösen Vorfall" auf dem EVP-Treffen. Die EU sei eben doch nur ein "Christenklub", ließen sie verlautbaren.

Da Erbakan von seiner Abneigung gegen die EU bis zu seiner Machtübernahme kein Hehl gemacht hat und phantastischen Bündnissen in der islamischen Welt nachhängt, kann man ihm wohl unterstellen, daß er die Verschlechterung des türkisch-deutschen Verhältnisses als Preis für seine außenpolitischen Vorstellungen begrüßt.


 
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