© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Werte-Karussell
Kolumne
von Jürgen Hatzenbichler

Die Debatte um die "Remissionierung" der Freiheitlichen mittels "abendländisch-christlichem" Programmentwurfs hält an. Während der FPÖ-Klubobmann Ewald Stadler entsprechend vorarlbergerischer "Rechtgläubigkeit" auf einen römisch-katholischen Fundamentalismus setzt, wollen andere nicht von den Wurzeln lassen, die freiheitliche Politik seit gut 150 Jahren fundiert haben.

So will der Wiener Landesparteiobmann, Rainer Pawkowicz, "keine radikale Veränderung" der FP-Programmatik, sondern ein "Fortschreiben des Parteiprogrammes". Er plädiert dafür, daß das neue Parteiprogramm der Freiheitlichen so erstellt wird, daß "alle Wertorientierten sich identifizieren können". Gegen den Bruch mit den historischen Grundlinien ist auch der Wiener Landtagsabgeordnete Rüdiger Stix, der in den Äußerungen Stadlers einerseits eine Einmischung eines Freiheitlichen in Kirchenangelegenheiten sieht, habe doch kein Politiker über die Flügelkämpfe unter Roms österreichischen Repräsentanten zu urteilen. Andererseits solle die FPÖ nicht diejenigen ihrer Mitglieder vor den Kopf stoßen, die aus der Kirche ausgetreten sind und die gerade in Wien eine ordentliche Mehrheit stellten: "Gemeinsam mit unseren christlich orientierten Wählern unterstützten sie unseren wertorientierten, ordoliberalen Kurs."

Bei allem Sinn für Werte, wie sie von der Kirche vermittelt werden, gibt es nämlich schon auch Differenzen, die man nicht ausblenden sollte. Hatten die Freiheitlichen immer postuliert, daß für sie der Mensch im Mittelpunkt stünde, geht es dem gläubigen Gegenüber stets um die "Gemeinschaft der Gläubigen". Auch ein Jörg Haider hatte aber in seinem Buch "Die Freiheit, die ich meine" vor der Gefahr gewarnt, "daß im religiös-fundamentalen Streben die Freiheit zugunsten eines anonymen Kollektivs negiert wird".

Genau hier macht sich der Unterschied auf. In Zeiten der gesellschaftlichen Pluralisierung, einer sich verstärkenden Individualisierung und Strukturauflösung sind Werte durchaus gefragt. Aber Glauben zu verkünden, das ist nicht die Aufgabe einer politischen Partei. Der Papierkrieg, der sich im Oktober mit der Verkündigung des neuen FP-Parteiprogrammes legen wird, scheint aber eher auf die totale Beliebigkeit von politischen Inhalten hinzuweisen. Wenn Freiheitliche zu kämpferischen Katholiken, wenn die letzten Linken zu den ersten Christen werden und Sozialdemokraten rechte Politik machen, während sich die ÖVP als "Heimstatt der Liberalen" (Pröll) deklariert, ist das nicht ernst zu nehmen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen