© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Printmedien: Die linksalternative "tageszeitung" wird volljährig
Das Ende einer Kindheit
von Thorsten Thaler

Erwachsen werden wollte die Berliner tageszeitung (taz) eigentlich nie. Doch das Unvermeidliche macht auch vor den linksalternativen Blattmachern im "Rudi-Dutschke-Haus" nicht halt. In der kommenden Woche, am 17. April, wird die taz volljährig.

"Wir werden versuchen, ein Blatt gegen jede freiwillige Zensur und Nachrichtensperre zu publizieren. Kein Linienblatt, aber eine linke, radikale, auch satirische Zeitung – täglich! Den unterschiedlichsten Leuten soll darin Platz gegeben werden, gegen traditionellen, distanzierenden Profijournalismus zu schreiben." Mit diesen Sätzen stellte sich am 17. April 1979 die erste Ausgabe der taz – nach vier Nullnummern –einer alternativen bis linksextremistischen Leserklientel vor. Ausgestattet mit 7.000 Vorab-Abonnenten und einem Startkapital von 700.000 Mark, machten sich ein paar dutzend Entschlossene ans Werk, fortan eine täglich erscheinende Zeitung zu produzieren.

In ihren ersten Lebensjahren war die taz freilich kaum mehr als ein Wunschkonzert ihrer Redakteure und Mitarbeiter. Das Prinzip Selbstverwirklichung lugte allenthalben zwischen den Seiten hervor; jeder durfte sein Steckenpferd reiten. Erfahrungen im Blattmachen und journalistisches Handwerkszeug konnten überdies nur die wenigsten in die Waagschale werfen – wenngleich es unter den taz-Machern der ersten Stunde eine Reihe von Schreibtalenten gab, die später bei etablierten Zeitungen und Zeitschriften Karriere machen sollten.

Zu den chaotischen Verhältnissen in der Anfangszeit der taz gehörte, daß die Mitarbeiter ein Jahr lang in einem "rechtsfreien Raum" arbeiteten; erst im Frühjahr 1980 erhielten sie schriftliche Arbeitsverträge. Darin war ein Einheitslohn von 900 Mark netto fixiert plus 400 Mark für das erste und 300 Mark für das zweite Kind. Fortschrittlich gaben sich die tazler nur bei Arbeitszeit und Urlaubsanspruch. Die 35-Stunden-Woche war ebenso vereinbart wie 30 Tage Erholung im Jahr.

Über die politische Ausrichtung der taz herrschte lange vor Erscheinen der ersten Ausgabe Einvernehmen zwischen den bundesweit rund 20 Initiativen, die seit Mitte der siebziger Jahre an dem Zeitungsprojekt werkelten. In dem als "Gründungsdokument" geltenden "Prospekt Tageszeitung" von 1978 postulierten sie Thesen zum taz-Journalismus: "Die Tageszeitung soll kein Meinungsblatt werden, das jeden Morgen der Lektüre eines bürgerlichen Nachrichtenblattes einen linksradikalen Kommentar zum Zeitgeschehen zur Seite stellt. Der Anspruch ist vielmehr, ein umfassendes Nachrichtenblatt zu machen, in dem außer den in bürgerlichen Zeitungen üblichen Nachrichten und Informationen auch solche stehen, die gewöhnlich unterdrückt oder verfälscht werden."

Die sich schon bald nach dem Zeitungsstart abzeichnenden Auseinandersetzungen mit dem linksradikalen Milieu wurzelten zumTeil ebenfalls in diesem Positionspapier. So wollten die Gründungsväter zwar selbstredend eine "autonome, linke Tageszeitung" machen; ein Linienblatt für die politische Propaganda einer bestimmten linken Organisation bzw. Partei sollte das Blatt indes nicht werden. Ausdrücklich hielt der "Prospekt Tageszeitung" fest: "Sie soll offen sein für Kontroversen, Widersprüche, Debatten."

Die gab und gibt es bis heute in der Tat reichlich. Einerseits scheut sich die taz nicht, Bekennerschreiben militanter Gruppen, Dokumentationen extremistischer Vereinigungen und Interviews mit untergetauchten Terroristen zu publizieren. Andererseits hat die taz von Anfang an auch immer für Überraschungen gesorgt. So beispielsweise im Juli 1985, als die Zeitung einen Vortrag von Jacob Taubes nachdruckte, in dem der Professor an der Freien Universität Berlin den von links heftig angefeindeten Staatsrechtlers Carl Schmitt würdigte.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, leitete Taubes seinen Vortrag mit dem Satz ein: "Ich möchte Carl Schmitt, einem alten, aber auch im höchsten Alter noch unruhigen Geist meine Ehrfurcht bezeugen …" An anderer Stelle heißt es: "Carl Schmitt läßt sich sowohl als Jurist als auch als Apokalyptiker der Gegenrevolution lesen und verstehen. Mich sprach Carl Schmitt als ein Apokalyptiker der Gegenrevolution an. Als Apokalyptiker wußte ich und weiß ich mich ihm verwandt. Uns sind die Themen gemeinsam, wenn wir auch gegenstrebige Folgerungen ziehen."

Schließlich formulierte Taubes: "Carl Schmitt denkt apokalyptisch, aber von oben her, von den Gewalten; ich denke von untern her. Uns beiden gemeinsam aber ist jene Erfahrung von Zeit und Geschichte als Frist, als Galgenfrist. Das ist ursprünglich auch eine christliche Erfahrung von Geschichte." Daß die taz diesen Vortrag ohne jede kritische Anmerkung publizierte, paßte den Gralshütern der reinen Lehre naturgemäß nicht ins Konzept. Wütende Leserproteste waren die Folge.

Auf nur geringes Wohlgefallen stieß auch die Berichterstattung der taz über die DDR, die dem Inlandsressort zugeordnet war. So veröffentlichte das Blatt im Oktober 1979 zehn Thesen des bekannten Regimekritikers Robert Havemann zum 30. Jahrestag der Gründung der DDR. Stolz vermeldete die taz in ihrem redaktionellen Vorspann: "Dies ist die erste ungenehmigte Veröffentlichung eines Textes aus der DDR im Westen nach der Strafrechtsänderung, die seit dem 1. August in Kraft ist." Danach konnte mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden, wer zum Beispiel Manuskripte, "die geeignet sind den Interessen der DDR zu schaden, an Organisationen, Einrichtungen oder Personen im Ausland übergibt oder übergeben läßt". Dieses Risiko sei Robert Havemann bewußt eingegangen.

In seinem "Geburtstagsgeschenk" an die SED-Führung forderte Havemann die Aufhebung aller Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, die Haftentlassung und Rehabilitierung aller Personen, die deswegen verurteilt wurden, die Abschaffung jeglicher Zensur sowie die Gründung eines unabhängigen Presseorgans. Außerdem verlangte der Regimekritiker die Veröffentlichung seiner Thesen im Neuen Deutschland.

Daß die taz im Laufe ihrer Kindheit dutzendfach heimgesucht wurde, liegt in der Logik einer Zeitung, die zumeist zwischen den Stühlen sitzt.

Die erste polizeiliche Durchsuchung erlebte die taz im März 1981. Anlaß dafür war eine Kleinanzeige im Berliner Lokalteil, in der es hieß: "Heute soll die Stadt explodieren (…) An allen Ecken soll Mensch es spüren, daß es uns gibt, ’diese’ Hausbesetzer und ihr Sympathisantensumpf. Dezentrale Aktionen der Spaßgerilja in allen Stadtteilen, zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Die regierenden Kackvögel, Kaputtsanierer, Geiselnehmer und Knastbaumeister stehen nicht unter Denkmalschutz. Eine Abrißgenehmigung vom Amt für revolutionäre Umtriebe liegt vor."

Aber auch Besuchergruppen aus dem linksradikal-gewaltbereiten Spektrum ließen es sich nicht nehmen, der taz auf die Bude zu rücken. Nachdem im Februar 1982 etwa 40 Hausbesetzer die Berliner Lokalredaktion heimgesucht hatten, machte taz-Mitbegründer Michael Sontheimer seinem Ärger in einem Kommentar Luft: "Während wir diskutierten, fingen ein paar der Besucher, die das nicht zu interessieren schien, damit an, unser Fotoarchiv auseinanderzunehmen. Sie rissen die Fotos, die unser Fotograf Ralph Rieth in wochenlanger Kleinarbeit einsortiert hatte, raus, steckten sie ein oder schmissen sie auf den Boden. (…) Die Polizei hat sich besser benommen als die ’Genossen’ gestern. Sie haben weder die Uhr von der Wand abgeschraubt und mitgenommen, noch Carsten von der Lokalprärie die Comics geklaut. Verkehrte Welt. Ich habe langsam die Schnauze voll von solchen linksradikalen Umgangs- formen."


 
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