© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/97  18. April 1997

 
 
Glaube
Kolumne
von Manfred Brunner

Unsere Mitmenschen und wir selbst beginnen uns unübersehbar, unüberhörbar, von einem rein wissenschaftlich geprägten, rational-materialistischen Weltbild abzuwenden. Das kalte Licht der Aufklärung erscheint oft trügerischer als das metaphysische Dunkel ewigwahrer Mythen. Die Dimension des Glaubens wird wieder ins Leben und Denken einbezogen. Manche Aussagen kämpferischen Christentums können von Dyba und Krenn, aber auch von Haider sein.

In dieser Situation wird Joseph Kardinal Ratzinger 70 Jahre alt, ein Mann, der zu den brillanten Köpfen dieses Jahrhunderts zählt und der mit seinem Buch "Salz der Erde" soeben faszinierende wie anrührende Antworten auf die Frage gibt, wie die Identität von Staat und Kirche, Gesellschaft und Person gestärkt werden kann.

Auch weniger christlichen Zeitgenossen wird imponieren, mit welcher gedanklichen Klarheit der Kardinal Problemen unserer Zeit Analyse und Lösung entgegensetzt. Joseph Ratzinger zur Abtreibung: "Um eine Konfliktsituation zu bereinigen, wird ein Mensch getötet. Das ist nie eine Konfliktbereinigung." Ratzinger zum Umweltschutz: "Auch der Mensch in seinem Innern ist ein Geschöpf, hat eine Schöpfungsordnung und kann aus sich nicht beliebig machen, was er will. Wem es nicht um seine eigene innere Ökologie geht, der wird als innerlich verschmutzter Mensch die Schöpfung wie einen Sklaven behandeln." Zur Trennung von Kirche und Staat: "Diese Idee ist überhaupt erst durch das Christentum in die Welt gekommen. Das Christentum hat dem Staat die Sakralität genommen. Insofern ist diese Trennung ein urchristliches Vermächtnis und ein entscheidender Freiheitsfaktor." Erstaunlich auch Ratzingers zahlreiche Bemerkungen über moderne Mechanismen der Meinungsunterdrückung und getarnter Anpassungszwänge in unserer Zeit. Es ist vielleicht eine interessante Erinnerung, daß Theodor Heuss in seiner Silvesteransprache 1950 den Vorschlag einer neuen Nationalhymne vortrug, deren erste Strophe lautete: "Land des Glaubens, deutsches Land, / Land der Väter und der Erben, / Uns im Leben und im Sterben / Haus und Herberg, Trost und Pfand, / Sei den Toten zum Gedächtnis, / Den Lebend’gen zum Vermächtnis, / Freudig vor der Welt bekannt,/ Land des Glaubens, deutsches Land!"

Dieser "Nationalchoral", wie ihn Kurt Schumacher spöttisch nannte, wurde letztlich keine Konkurrenz zum altgewohnten Deutschlandlied, aber die Erinnerung an diese Zeilen Rudolf Alexander Schröders gibt Anlaß zu manchen Gedanken über Glaube und Heimat.


 
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