© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/97  18. April 1997

 
 
Kaffeefahrt nach Brasilia
Lockerungsübungen
von Karl Heinzen

Nein, sie haben nicht wie weiland Konrad Adenauer die Vorhänge ihres Abteilfensters zugezogen, als sie die Demarkationslinie zu den preußischen Kernlanden überschritten. Aber mulmig war ihnen doch wohl zumute, den Gästen des Sonderzuges 18970, der etwas Prominenz in bunter Mischung mit Ministerialbeamten und -angestellten aus dem para-mediterranen Bonn in die asiatische Weite Berlins entführte. Viel war getan worden, um sie bereits auf der Fahrt zu akklimatisieren. Wolfgang Gruner, Hanna-Renate Laurien und Didi Hallervorden sorgten für ein Potpourri der guten Laune, um zu demonstrieren, daß die Berliner auch ohne karnevalistische Tradition zu dem in der Lage sind, was manche Menschen als Humor zu bezeichnen pflegen. Man wird, da der Umzug ja nun irgendwann vor der Tür steht, also nicht auf alles verzichten müssen. Die Botschaft wurde sicherlich verstanden.

Die "Kaffeefahrt, für die man nicht einmal eine Rheumadecke kaufen muß" (Arnulf Baring) war gut gemeint, sie stellte sich einfühlsam auf das in Bonner Behörden beheimatete Potential der Eigeninitiative ein und schuf in der Tat für so manchen den Erstkontakt mit Schauplätzen, die er bislang bloß aus den Fernsehbildern der Wiedervereinigung kannte. Doch war dies beileibe nicht der Ernstfall, es gab ein Zurück, und das wußte jeder. Man hatte die Muße, das Für und Wider abzuwägen: Auf dieser Basis läßt sich aber niemand so leicht für Berlin begeistern. Denn was prädestiniert diese durch eine Laune der Geschichte zur Rand-Metropole aufgeschäumte Siedlung eigentlich dazu, einer Republik ihren Namen aufzuzwängen, die von Bonn aus mit einer Aura ohnmachtgestützter Innerlichkeit umwoben wurde, der es gelang, die Redimensionierung der deutschen Rolle in den Herzen zu verankern, die dem deutschen Nimmersatt Ziele setzte, die er ausnahmsweise auch einmal erreichen konnte? Eigentlich nichts, denn Berlin ist bestenfalls die Erinnerung an etwas, das so nicht einmal war und an das man aus guten Gründen nicht mehr anknüpfen möchte. Politiker und Beamte können hier zwar die Auswüchse des modernen Lebens in Augenschein nehmen, doch diese sind – Gott sei Dank – nicht repräsentativ. Berlin zwingt den Entscheidern eine Lebensart und ein Bild der Realität auf, das sie der Republik entfremdet.

Die Entscheidung für diese Hauptstadt ahmt nicht die etappenweise Verlegung des Regierungssitzes nach Rom im Italien nach dem Risorgimento nach, sie ähnelt eher der Willkür, aus der Brasilia zur Kapitale wurde. Wo nichts zusammengehört, kann man zwar zusammenkommen, muß aber nicht gleich zusammenwachsen. Und doch hat Berlin ein Gutes: die Goldenen Jahre der Bundesrepublik sind vorbei. Dafür kann diese Stadt wie keine andere das Symbol abgeben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen