© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/97  18. April 1997

 
 
Arbeitszeitverkürzung: IG-Metall fordert 32 Stunden
Gleichheit in Armut
von Karl-Werner Flach

Die politische Vorgabe steht wiederholt im Raum. Bis zur Jahrtausendwende will Kanzler Kohl die Arbeitslosigkeit von derzeit zirka 4, 6 Millionen halbiert haben. Die Gewerkschaften liefern ihm nun das Rezept dafür: staatlich verordnete Halbierung Arbeitszeit ist gleich politisch erfolgreiche Verdoppelung der Beschäftigten.

Ganz so holzschnittartig ist der Vorschlag, den IG-Metall-Chef Zwickel zum Abschluß des DGB-Beschäftigungsgipfels als Paukenschlag der verdutzten Unternehmerschaft präsentierte, jedoch nicht zu verstehen. Gegenüber den ersten derartigen Forderungen der Gewerkschaft Ende der achtziger Jahre fällt die neue Initiative wesentlich moderater aus. Statt einer Arbeitszeitverkürzung (damals 35-Stunden-Woche) mit vollem Lohnausgleich wird nun ein Verzicht auf die Fixierung des Lohns angeboten. Damit setzt sich Zwickel zwischen mehrere Stühle. Die Arbeitsnehmer protestieren in ersten Meinungsumfragen spontan gegen die Kürzung ihrer Einkommen. Für einen Facharbeiter dürfte es kaum vermittelbar sein, wenn er künftig per Tarifvertrag gezwungen sein sollte, seine qualifizierte, oft teuer erlernte Tätigkeit in einem geringeren zeitlich Umfang anzubieten als er es vom Einkommen her wünscht. Auch die Unternehmer kritisieren den Zwickel-Vorschlag. Sie befürchten selbst bei dem angepeilten Lohnverzicht eine Kostenerhöhung, weil die Grundkosten für die Einrichtung eines zusätzlichen Arbeitsplatzes nicht tariflich beseitigt werden können. Zudem könne nicht gewährleistet werden, daß die praktisch teilweise Entlassung qualifizierter Beschäftigter durch gleichqualifizierte Arbeitslose ersetzbar ist. Der Bundesverband der Deutschen Industrie rechnet damit, daß potentielle Investoren noch mehr abgeschreckt werden, in deutsche Arbeitsstätten zu investieren. Auch Handwerkspräsident Philipp lehnt den Gewerkschaftsvorschlag ab, weil er im Handwerksbereich zu einer Arbeitszeitverkürzung von fast 25 Prozent führen würde. Eine derartige Einkommensverringerung, warnt der Zentralverband des Deutschen Handwerks, würde geradezu zur Schwarzarbeit zwingen.

Wissenschaftler, wie der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle Rüdiger Pohl, fordern dagegen eine variable Gestaltung der Arbeitszeit mit einer stärkeren Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung. In die gleiche Richtung zielt auch die Forderung des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, der eine "mobile Gestaltung" der Arbeitszeit einer generellen Verkürzung vorzieht. Insgesamt könnte der Vorstoß Zwickels nach Ansicht einiger Ökonomen die Diskussion um die Arbeitslosigkeit durchaus in Richtung "Mehr Marktwirtschaft am Arbeitsmarkt" fördern. Würden beispielweise auch noch halbe 32-Stunden-Jobs zugelassen, könnten arbeitswillige Einkommenssuchende durch eineinhalb Stellen wieder zur alten 48-Stunden-Woche gelangen.


 
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