© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/97  25. April 1997

 
 
Zum Tode Czajas: Unbequemer Zeitgenosse im "kleinsten Deutschland seit tausend Jahren"
Urgestein der Vertriebenenpolitik
von Roland Schnürch

Am 18. April verstarb in Stuttgart völlig unerwartet Dr. Herbert Czaja, der große alte Mann des BdV. Bis zur letzten Minute seines Lebens im Sinne der eigenen politischen Ideen tätig, befand er sich gerade auf dem Weg zu einer Tagung nach Bonn, wo er ein Referat zu halten hatte.

Herbert Czaja, am 5. November 1914 im österreichischen Ostschlesien – genauer: in Teschen – geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Krakau und Wien. Im Rußlandfeldzug schwer verwundet, kam er als Vertriebener nach Niedersachsen und Stuttgart, arbeitete bis 1953 als Studienrat und war danach bis 1990 CDU-Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Neben der Zeit, die er für seine Frau und seine zehn Kinder brauchte, wendete er alle Energie für sein politisches Lebenswerk auf: die Überwindung der Teilung Deutschlands, die er noch erleben durfte, sowie die Interessenwahrung der vertriebenen bzw. noch in der Heimat verbliebenen Ost- und Sudetendeutschen. Dies hinterließ bei ihm manche Bitternis.

Bei der territorialen Frage mußte Czaja bereits im Jahr 1972 erste herbe Rückschläge in Kauf nehmen; jedoch bestritt er bis zu seinem Lebensende – zu Recht – einen konstitutiven Gebietsübergang Ostdeutschlands und widersprach vehement der behaupteten Grenzanerkennung, die er nur als Bestätigung von Faktizitäten gelten ließ.

Von 1970 bis 1994 war Herbert Czaja Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV), danach dessen Ehrenpräsident. Das Amt des Sprechers der Landsmannschaft Oberschlesien hatte er seit 1969 inne. Angesichts der Zwiespältigkeit und Wankelmütigkeit der Unionsparteien bei ost- und sudetendeutschen Fragen war mancher Zeitgenosse zunehmend geneigt, Herbert Czaja ob seiner langjährigen CDU-Funktionen zu attackieren. Doch man tut ihm unrecht mit dem Vorwurf, hier nicht genug Kritik eingebracht zu haben. Czaja hat insbesondere in seinem 1996 erschienenen 1.000seitigen politischen Vermächtnis in Buchform mit dem Titel "Unterwegs zum kleinsten Deutschland seit 1.000 Jahren?" auch so manchen Unionskollegen mit entsprechenden negativen Attributen bedacht.

Genau erinnerte sich Czaja noch an die tiefe Enttäuschung, die er schon 1972 bei der Ratifizierung der ersten Ostverträge aufgrund der fast vollständigen Stimmenthaltung der CDU/CSU-Fraktion erleben mußte. Herbert Czaja gehörte zu den 10 bzw. 17 Abgeordneten, die damals konsequent mit Nein stimmten. Das BdV-Präsidium stand damals vor einem Scherbenhaufen. Aus den von Czaja daraufhin mitinitiierten Verfassungsbeschwerden erging dann wenigstens der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1975, der, um es mit seinen Worten zu sagen, "bis 1989 hervorragend standhielt und heute noch die Staatsangehörigkeit einer Million Deutscher in der Heimat und ihrer Nachkommen sichert". Was folgte, war aus der Perspektive Herbert Czajas eine "vergebliche Entspannungspolitik bis 1982", deren "Euphorie" bis 1989 abklang, und die von handlungsbewußten Bürgern Mitteldeutschlands hinweggefegt wurde, sowie die "historische Schuld des Genscherismus durch verhängnisvolle Verhandlungen 1989/90". Im Herbst 1990 versuchte Czaja mit sieben weiteren Abgeordneten mittels einer Organklage das Ärgste abzuwenden. Karlsruhe widersprach, doch Bundesverfassungsrichter a.D. Willi Geiger schrieb von einem irreparablen, "tief in das Verfassungsgefüge hineinreichenden Verfassungsbruch".

Mit besonderem Zorn erfüllte Czaja die von einer deutschen Regierung grundlos abgeschlossene "Deutsch-tschechische Erklärung". Daß zusätzlich 16 selbsternannte "junge Außenpolitiker der CDU/CSU" (darunter Hartmut Koschyk und Friedbert Pflüger) dieses Papier in den Himmel hoben, empörte ihn, und er verlangte – bisher erfolglos – parteiinterne Konsequenzen.

Seiner Beschreibung des Weges zum "kleinsten Deutschland seit 1.000 Jahren" stellte er folgende Bemerkungen voran: "Die vielen Zeichen der Entsolidarisierung bei vielen Politikern und in einem großen Bevölkerungsteil lassen mir keine Ruhe. Ist es nicht mehr gestattet, die Frage überhaupt zu erörtern, wieso auf ein Viertel Deutschlands zu verzichten versucht wurde, warum die 16 Millionen Vertriebenen doppelt zu leiden hatten durch Vertreibung und Preisgabe ihrer Heimat? Welches nationale Selbstbewußtsein prägt die Deutschen, wenn sie dies beinahe gleichgültig geschehen lassen? Doch das letzte Wort der Geschichte ist noch nicht gesprochen."

Wer sich heute ernsthaft dem Gedanken des Heimatrechts für die deutschen Vertriebenen verschreibt, wird Schuld und Verstrickung auf dem Weg zum "kleinsten Deutschland" studieren müssen. Strategische Konzepte sind gefragt. Statt Grenzen als unabänderlich zu beschwören, werden völkerrechtlich legitime Formen des "peaceful change" in einem regional gegliederten Europa durchzusetzen sein. Ansätze dazu hat Herbert Czaja bereits 1990 in einer BdV-Unterschriftenaktion auf den Weg zu bringen versucht. Czaja, im Detail immer auf einen vernünftigen Ausgleich bedacht, war im Grundsätzlichen kompromißlos. Die Lücke, die er hinterläßt, wird für die Ost- und Sudetendeutschen nur schwer zu schließen sein.

Roland Schnürch ist Vizepräsident der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft und Mitglied des Sudetendeutschen Rates.


 
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