© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/97  25. April 1997

 
 
Gottesstaat
Kolumne
von Klaus Hornung

Der Deutsche Bundestag und die Europäische Union haben einmütig festgestellt, daß der "kritische Dialog" mit dem islamistisch-schiitischen "Gottesstaat" des Iran zunächst einmal gescheitert sei. Was nun? Die Alternative ist nicht das andere Extrem, die Identifizierung des gesamten Islam mit seinen militanten, islamistisch-fundamentalistischen Auswüchsen (obgleich diese freilich zunehmen), wohl aber die Überwindung der gerade in Deutschland so beliebten, weil bequemen Palmströmlogik: "Doch darum schließt er messerscharf, daß nicht sein kann, was nicht sein darf." Analytische Nüchternheit ist gefragt, die die Erkenntnis tiefer Unterschiede und Gegensätze zwischen Abendland und Orient einschließt. Das beginnt mit der Einsicht, daß der Islam ("Ergebung in Gottes Willen") nicht nur Religion, sondern eine allumfassende Lebens- und Gesellschaftsordnung ist, die weder die westliche Trennung von Religion und Politik, "Kirche" und Staat noch das Verständnis des einzelnen als autonomes Individuum kennt.

Wer unser westliches Menschenrechtsverständnis unkritisch auf nicht-westliche Kulturen überträgt, muß immer wieder neue Mißverständnisse und damit Konflikte produzieren. Wer zum Beispiel das Kopftuch der muslimischen Frau als "Persönlichkeitsausdruck" interpretiert, verkennt das islamische Verständnis auch des Kopftuchs als Ausdruck der Solidarität mit der Ummá, der weltweiten Gemeinde der Muslime. Der Westen kennt keinen "Gottesstaat" wie im Iran. Schon das Christentum im Kampf mit den römischen Cäsaren und dann die Aufklärung haben dem Staat und seinem Personal die Sakralität genommen, und dieses urchristliche Vermächtnis ist damit zugleich "ein entscheidender Freiheitsfaktor" (Kardinal Ratzinger), wie mißbraucht er im Westen heute auch werden mag.

Umgekehrt kann sich kein überzeugter Muslim die westliche "Gewaltenteilung" und eine von der Regierung prinzipiell unabhängige Justiz vorstellen, wie jetzt wieder am iranischen Aufruhr um das Berliner Mykonos-Urteil deutlich wird. Hier sind Kulturschranken wirksam, die von keiner bundesdeutschen Palmströmlogik wegdiskutiert werden können. Je nüchterner das die Religions- und Kulturwissenschaft sowie Theorie und Praxis der internationalen Politik erkennen und beherzigen, desto besser für die Beziehungen des Westens zur islamischen Welt. Eine Prise Realismus kann unserem Verständnis des Islam nur gut tun. Tragfähiger als Illusionen über multikulturelle Gesellschaft und "Integration" ist sie allemal.

Prof. em. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim


 
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