© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/97  25. April 1997

 
 
Rechtschreibreform: Bundestag debattiert vor leeren Bänken
Punkt 13.52 war Schluß
von Thorsten Thaler

Erstmals hat sich jetzt der Deutsche Bundestag mit der umstrittenen Rechtschreibreform beschäftigt. Die Diskussion am vergangenen Freitag mittag fand jedoch vor fast leeren Bänken statt. Nicht einmal die rund 50 Abgeordneten aus CDU, SPD und FDP, die mit ihrem Gruppenantrag die Neuregelung der Rechtschreibung zu Fall bringen wollen, mochten der Debatte folgen.

Der Aussprache selbst stellten Beobachter auf der Zuschauertribüne des Bundestages ein gutes Zeugnis aus. Friedrich Denk, Deutschlehrer aus dem oberbayerischen Weilheim und einer der maßgebenden Initiatoren des Protestes gegen die Rechtschreibreform, sagte auf Anfrage, die Debatte habe auf einem "sehr hohen Niveau" stattgefunden. Als Grund für die fehlende Präsenz der Abgeordneten verwies Denk auf die Fraktionsführungen, die die Rechtschreibreform offenbar bewußt als letzten Punkt auf die Tagesordnung gesetzt hatten, um das Thema möglichst "an der Öffentlichkeit vorbei" zu schleusen. Die Debattenredner ließen sich von den leeren Sitzreihen vor ihnen jedoch kaum beeindrucken. Der CDU-Abgeordnete Franz Peter Basten (52) bemühte allerhöchsten Beistand und eröffnete seine Rede mit dem Bonmot: "Der Geist Gottes weht, wo er will, aber nicht unbedingt und zu allen Zeiten bei den deutschen Kultusministern."

Sprache sei "für die Persönlichkeit des Menschen, für sein Wesen, für sein Menschsein schlechthin konstitutiv", sagte Basten. Damit seien Grundrechte betroffen und Verfassungsfragen aufgeworfen, die sich auch "mit dem Hinweis auf die Uhr nicht beiseite schieben lassen". Im übrigen komme die Verfassung nie zu spät. Entweder würden Fehlentscheidungen rechtzeitig durch den Gesetzgeber korrigiert, erläuterte Basten, oder Verfassungs- und Verwaltungsgerichte müßten korrigierend eingreifen. Die SPD-Abgeordnete Liesel Hartenstein (68) stellte fest, daß "Bedeutung und Dimension" der Rechtschreibreform in der Politik wie auch von der Öffentlichkeit lange Zeit "weit unterschätzt" worden seien. Tatsächlich hatte erst der von Friedrich Denk im Oktober vergangenen Jahres initiierte "Frankfurter Appell" namhafter Schriftsteller, Journalisten, Verleger, Bibliothekare und Wissenschaftler (die JF berichtete mehrfach) den Stein des Protestes ins Rollen gebracht.

Die Debatte im Bundestag sollte bewirken, so Frau Hartenstein, die Rechtschreibreform aus dem "Klima der Unerheblichkeit" herauszuführen. Auch die SPD-Abgeordnete betonte, daß Sprache Ausdrucksmittel für "Lebensgehalte" sei. Mit seiner Sprache versuche der Mensch "die Welt einzufangen" und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Hartenstein: "Mit der Reform wird der Körper unserer Sprache verändert. Er erleidet Eingriffe. Er wird verformt."

Als Reformbefürworter bekannte sich der bündnisgrüne Abgeordnete Helmut Lippelt (67). Die Neuregelung erspare den Lehrern "viel rote Tinte" und den Schülern "Monate unnötiger Regelpaukerei, in denen sie ihre Intelligenz in einer sich dramatisch verändernden Welt wichtigeren Gegenständen des Lebens zuwenden dürfen".

Nach Lippelt meldete sich der Initiator des parteiübergreifenden Antrags, Detlef Kleinert (64), zu Wort. Der FDP-Rechtsexperte bedauerte, daß die Kultusminister, die für die politische Bildung der nachwachsenden Generation "in besonderer Weise zuständig" seien, mit einer "unbegreiflichen Großzügigkeit" an allen Einwänden vorbeigingen. Jedem müßte klar sein, sagte Kleinert, daß "Dinge von erheblicher Bedeutung nicht einfach so mir nichts, dir nichts im undurchsichtigen Bereich von Erlassen und Verordnungen der Tätigkeitsfreude von Ministerialbeamten anheimgegeben werden dürfen". Es offenbare einen "erheblichen Mangel an wünschenswerter Aufrichtigkeit", wenn die Kultusminister jetzt behaupteten, sie seien nur für die Rechtschreibung in den Schulen zuständig und woanders könnten die Schüler schreiben, wie sie wollten. Kleinert: "Das ist doch nicht die Lebenswirklichkeit."

Für die PDS-Gruppe im Bundestag wies Maritta Böttcher (43) darauf hin, daß es in der Geschichte kein Beispiel dafür gebe, daß Parlamente Rechtschreibreformen beschlossen oder boykottiert hätten. Weder die Grundrechte noch die deutsche Sprache seien durch das neue Regelwerk bedroht.

Nach Abschluß der um 10 auf insgesamt 50 Minuten verlängerten Debatte wurde der Antrag zur weiteren Beratung an die Ausschüsse für Recht, Inneres, Bildung und Wissenschaft sowie wegen der finanziellen Auswirkungen der Rechtschreibreform zusätzlich an den Haushaltsausschuß überwiesen. Um Punkt 13.52 Uhr schloß Bundestags-Vizepräsident Burkhard Hirsch (FDP) die Sitzung und schickte damit auch die letzten Abgeordneten ins wohlverdiente Wochenende.

Unterdessen erwarten die Republikaner in Baden-Württemberg, daß sich Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) und Kultusministerin Annette Schavan (ebenfalls CDU) "von Einsicht leiten lassen" und von sich aus die Initiative zur Verhinderung der Reform ergreifen. Die Fraktion im Stuttgarter Landtag kündigte an, einen parlamentarischen Vorstoß zur Verhinderung der Rechtschreibreform zu unternehmen. Auf eine historische Parallele zur Neuregelung der Rechtschreibung in Deutschland machte dieser Tage die Frankfurter Allgemeine aufmerksam. Als der deutsche Reichstag im Mai 1925 die Reform der Stenographie und die Einführung der Einheitskurzschrift verabschiedete, lagen 19 Jahre dauernde Verhandlungen, Vermittlungsversuche, Gutachten und Petitionen hinter den Reichstagsabgeordneten. Am Ende setzten sich die Reformbefürworter mit nur einer Stimme Mehrheit durch.


 
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