© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/97  02. Mai 1997

 
 
Zeitschriftenkritik: "Zeno"
Kritik des falschen Scheins
von Ilse Meuter

Pluralität und Bewegung sind bloß Täuschungen. Der griechische Philosoph Zenon von Elea (5. Jahrhundert vor Christus) trug dazu Argumente vor, die selbst Betrand Russell vergeblich zu widerlegen suchte. Zenons berühmtes Paradox sieht Achill im Wettlauf mit einer Schildkröte; Zenons Dialektik der unendlichen Halbierungsfähigkeit sieht die Kröte mit zwingender Logik vorn.

Den Titel der Kulturzeitschrift Zeno ziert ein nackter Sokrates rittlings auf besagter Kröte gestikulierend, als solle zum Beispiel das Verwertungsdiktat ferngehalten werden. Noch halten sich im utilitaren Ozean der Betriebswirtschaftsepoche Inseln höheren Spiels. Eine solche ist Zeno – relativ zwecklos, autonom, ohne Großverlag oder Stiftung im Rücken, keiner Partei, Akademie oder Schule tributpflichtig. Den Autoren, bzw. Herausgeberkreis, eint der Eid auf Zeno, den Feind des falschen Scheins. Zeno bietet phantasievoll kluge Essays, Gegenwartslyrik, geschliffene Aphoristik, Kurzprosa, kritische Glossen, Rezension, Reiseimpressionen, beißende Kritik herrschender Denk-, bzw. Sprachstile. Kreativität jenseits der Werbefritzenphrase. 1980 erschien das erste der thematisch angelegten Hefte, es folgten bislang 17 weitere: Mythos, Aufklärung, Moral, Frauen, Eliten, Oberflächen, Grenzwert, Neues Denken, Nachmoderne, Geld, Rituale. Denkbare Zeno-Patrone mögen Adorno und Benjamin sein, nicht weniger auch Kracauer, Lec, der späte Arnold Gehlen, Kondylis, Benn, Carl Schmitt und Botho Strauß.

Am Wettlauf der Unterscheidungen beteiligt sich Zeno "auf einer Schildkröte: Statt an die Zielfahne und die Preisrichter denkt er an die Zuschauer, verschenkt im Schunkelgang bittere Süßigkeiten, eingewickelt in Briefe von Giordano Bruno, in Rechnungen an die Mit- und Nachwelt, in Hypotheken auf Tradition und Gelehrsamkeit und Hermeneutik. Spruchbänder flattern durch die Luft, Gedichte werden zweckvertraut und verkünden das Zusammenspiel von Phantasie und Begriff. (…) Selbst eine Schildkröte wird eingeholt vom Zeitgeist und Zeno, obwohl noch immer nicht abgemagert, durch eine Strecke gemeinsamen Weges geehrt."Als prominente Beiträger seien der Essayist Michael Rumpf, Sohn des bedeutenden Hobbes-Interpreten Herbert Rumpf, sowie die Philosophen Ulrich Schödlbauer und Joachim Vahland genannt. Im Berliner Akademieverlag erschien soeben ihre wichtige Studie "Das Ende der Kritik", in der die Erschöpfung rechter wie linker Gesellschaftskritik konstatiert wird, das Ende des "Jahrhunderts der Intellektuellen". "Krisengerede und Wertetheater" seien "nachmodern", zu einer "verlorenen Sache" geworden. In Zeno räumen desweiteren R. Düßel, J. Bossner und O. Bergmann mit auf; ihre "Zenoten" scheren sich keinen Deut um den Applaus der Agora, sie enthalten sich freilich auch billiger Personenschelte. Ihrer differenzierten Polemik geht es um die Sichtung der geistiger Waffen einer ganzen Epoche. Die meisten scheinen, wenn nicht alles trügt, unbrauchbar zu sein.

"Zeno" – Zeitschrift für Literatur und Sophistik, Heft 18 (Oktober 1996): "Rituale". Trifelsstraße 40 b, 67269 Grünstadt. Einzelheft: 10 Mark.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen