© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/97  02. Mai 1997

 
 
Pigor & Eichhorn karikieren die permissive Gesellschaft
Kabarett vom Feinsten
von Florian Loth

Was sich zur Zeit auf der Bühne der Berliner "Bar jeder Vernunft" allabendlich abspielt, wird für Furore sorgen und in die Geschichte des Kabaretts eingehen: Thomas Pigor singt, sein Pianist Benedikt Eichhorn muß begleiten. Der Sänger, ein Ekelpaket par excellence, eine arrogant-selbstherrliche Mischung aus Jack Nicholson und Klaus Maria Brandauer, unterjocht seinen Partner, walzt mit dem Feingefühl einer Planierraupe auf der liebenswerten Schüchternheit seines Kollegen herum und buhlt dabei penetrant um die Gunst "seines" Publikums.

Die Fangemeinde des Kabarett-Duos kennt dieses Ritual ausgeprägten Pigorschen Bühnen-Sadismus’ bereits: Eichhorns Intermezzo als Karteikarten-Conférencier findet ein jähes Ende, als Pigor seinem Tasten-Sklaven die Moderation schon nach der zweiten Nummer brutal entreißt. Was die beiden nun in einem zweistündigen Programm vorlegen, ist ein bestechender satirischer Abgesang auf eine pseudo-aufgeklärte, permissive Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts. Die kompakten Einlagen zwischen den Songs, die boshaften, scharfsinnigen Texte mit den geradezu genialen Rhythmen, die erfrischende Respektlosigkeit gegenüber jedweden Denkverboten machen den Auftritt zu einer brillanten Performance und zu dem deutschen Kabarett-Glanzpunkt der ausgehenden neunziger Jahre. Noch vor wenigen Jahren komponierten die Urheber des Salon-Hip-Hops hin und wieder einen Chanson und traten bei Dr. Seltsam, dem legendären Berliner Kabarett-Conférencier der Off-Szene zu nächtlicher Stunde in einem Berliner Hinterhof auf – nun jazzen, rappen und "scatten" sie sich in der renommierten Bar jeder Vernunft mit professioneller Perfektion durch den Abend: Da fürchtet Pigor schon, eines Tages fett und aufgedunsen wie Elvis Presley zu enden. Doch die Angst ist nur aufgesetzt, geht es ihm doch ausschließlich darum, das weibliche Publikum vom umwerfenden Charme seines fränkischen Holzkopfes zu überzeugen – welch eine grandiose Selbstdarstellungs-Show! An anderer Stelle wird hemmungslos über retrograd-infantiles Gehabe junger Eltern hergezogen: "Heinz hat sich reproduziert, sein Ejakulat liegt im Kinderwagen und sieht aus wie Heinz im Kleinformat".

Benedikt Eichhorn dagegen äußert im eigens kreierten Münsterländer "Coesfeld-Pop" die Frage, ob im Weltraum vorbeiziehende "tote Astronauten in ihren Anzügen wohl verwesen". Und schließlich präsentiert sich Pigor als wandelnde Synthese aus Intellekt und Erotik, eine Kombination, die er bei Frauen schmerzlich vermißt, da sie angeblich – und das sogar "kategorisch" – nur das eine oder das andere aufzuweisen haben: "Ruth küßt gut und ist ansonsten idiotisch. Isabell ist hell im Kopf, aber unerotisch!" Deutsche Frauen "haben Haare an den Waden. Sie schminken ihre Lippen nicht so rot, sie hinterlassen beim Küssen einen faden Nachgeschmack nach Vollkornbrot", verhöhnen Pigor und Eichhorn die westdeutsche Frauenbewegung.

Eingefleischten Feministinnen muß solches Liedgut ein Dorn im Auge sein, so wie die bundesrepublikanische Linke mit ihren gesinnungsethischen politischen Lippenbekenntnissen insgesamt nicht viel zu lachen hat. Saturiert-selbstzufriedene 68er-Studienräte, die bei Entzugserscheinungen aus ihren GEW-Kuschelecken kriechen, um sich von Dieter Hildebrandt, Hans Scheibner oder Konstantin Wecker ideologische Gerechtigkeitsinjektionen spritzen zu lassen, sind bei Pigor und Eichhorn fehl am Platze. Politisch ist dieses Duo wunderbar inkorrekt, so etwa, wenn die beiden einen überkandidelten Geisteswissenschaftler für eine ethno-soziologische Magisterarbeit nach Mexiko fahren lassen, um dort den "Mädchen auf den Po" zu hauen; natürlich handelt es sich um eine rein analytische Verhaltens- und Reaktionsstudie – frei nach Nietzsche ein Beitrag zur "fröhlichen Wissenschaft".

Eine ideenreiche Hitler-Parodie nimmt Stellung zum gesammelt-verrammelten NS-Bewältigungsschrott Mitscherlich’scher Provenienz: "Der Führer" stellt sich als Privatmann vor, der sich morgens im Bad seines Bunkers mit einem "Braun" rasiert. Von hysterischen Gutmenschen schon mal der Bagatellisierung des Dritten Reiches bezichtigt, bringt dieser Song genau das Gegenteil zum Ausdruck: Hitler wird als "Eau de Toilette für den Mann" besungen, das "ungeheuer imposant nach Schäferhund" riecht. Ein wahrer Ohrwurm, der den maßlos überzogenen Männlichkeitswahn im Dritten Reich persifliert, ohne zu moralisieren. Auch nimmt sich das Duo einer Spezies an, die von anderen gerne übersehen wird: dem provinziellen Berliner "Baustellen-Bewohner" vom Potsdamer Platz ("ganz zentral mit Zentralheizung"), dem die Freundin – magisch angezogen vom manierierten Schmäh eines Wiener Kleinkrämers – in die Donau-Metropole abhaut. Das drittklassig kalauernde Comedy-Genre der privaten Fernsehsender bekommt ebenso sein Fett weg wie die inflationär aufgeblähte weibliche Berliner Chansonetten-Szene. Doch letzterer Seitenhieb auf Cora Frost und Kolleginnen ist wohl als Hommage zu verstehen – Pigor & Eichhorn können sich das tatsächlich leisten, denn sie sind Avantgarde!
FLORIAN LOTH

Pigor singt, Benedikt Eichhorn muß begleiten, II. Teil; Bar jeder Vernunft (Schaperstr. 24, Berlin, Tel. 030 / 883 15 82), bis 11. Mai, Di.–So., 20.30 Uhr.


 
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