© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/97  09. Mai 1997

 
 
Sudetendeutsche: Ehrliche Gegner – falsche Freunde
Realismus ist angesagt
von Lothar Höbelt

Der Chefredakteur der wichtigsten tschechischen Zeitung sagte unlängst bei einer Diskussion zur Vertriebenenproblematik: "Das Bestreben nach völliger Wahrheit und der Friede gehen nicht zusammen!" Man kann das als Zynismus abtun; damit ist freilich nicht viel gewonnen. Man kann auch den Schluß ziehen, darin zwischen den Zeilen ein gewisses Eingeständnis zu sehen. Vor allem aber: Der Mann hat recht. Wäre er Deutscher, würde er mit einer solchen Aussage, die allen Prämissen der Vergangenheitsbewältiger widerspricht, einen Sturm der Empörung auslösen. Forschung beruht auf Logik und Konsequenz; Politik auf Kompromissen. Die Vorstellung aber, daß alle Beteiligten an einem Dialog (oder bei sonstigen Kooperationen) auch dieselbe Geschichtsauffassung zu teilen haben, ist absurd (oder aber Ausfluß totalitärer Gesinnung).

Es beweist einmal mehr, daß es politisch völlig sinnlos ist, sich über die Tschechen zu empören: Im Gegenteil: Es muß einen der Neid fressen. Die Tschechen haben eine knallharte nationalliberale Regierung, die sich beider Komponenten dieses Begriffes bewußt ist.

Das politische Problem liegt anderswo: Die Bonner Regierung hat die Ansprüche der Vertriebenen jahrelang anerkannt, betrachtet sie aber jetzt bloß als Peinlichkeit. Man kann lange streiten, ob es fair ist oder nicht. Aber Prag kann man daraus keinen Vorwurf machen, daß es einem Druck nicht nachgegeben hat, der gar nicht bestanden hat.

Noch eines zeigen Diskussionen dieser Art: Nicht ehrlich vorgetragene tschechische Standpunkte erregen Unmut, sondern die Salbadereien wohlmeindender Sühnedeutscher, die einen Maßstab anlegen, wenn es um Verbrechen an Deutschen geht. Das Schlimmste, was einem deutsch-tschechischen Dialog passieren kann, wären derlei selbsternannte Vermittler. Da sei man auf der Hut. Vor den Tschechen aber: Hut ab!


 
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