© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/97  09. Mai 1997

 
 
Schloßparktheater Berlin: "Was ihr wollt" von William Shakespeare
Der Beschränkte als einzig Normaler
von Hans-Jörg von Jena

Bis zur Pause, mit der man nach zwei Stunden doch noch überrascht wird, überwiegt der Klamauk. In den nur vierzig Minuten danach der Komödienernst. Die jeweilige Zeitdauer entspricht dem Gewicht, das die Inszenierung den beiden Sphären von "Was ihr wollt", der lyrischen und der komischen, beilegt. Nicht ganz freilich Shakespeare. Der hält beide in schwebendem Gleichgewicht oder läßt sie wie ein Mobile durcheinandertaumeln.

Immerhin: Daß der Ernst der Komik folgt, ja daß die vorher übergangenen Beziehungen der Figuren mit Nachdruck sichtbar gemacht werden, gibt der Aufführung eine schon nicht mehr erwartete Bedeutung. Ende gut, vieles gut – oder zumindest manches auftgeholt. Michael Schottenberg hat den Text (für den ein Übersetzer ansonsten nicht genannt wird) bearbeitet. Für Viola, die Schiffbrüchige an Illyriens Küste, gibt es bei ihm kein Happy End. Sie bleibt mit dem wiedergefundenen Zwillingsbruder am Ende allein. Hingegen "kriegt" Herzog Orsino tatsächlich die reiche Gräfin Olivia, die er – mit Hilfe Violas, des Liebesboten in Jünglingsverkleidung – so heftig umwarb.

Warum auch nicht! "Twelfth night or What you will" – der Titel deutet schon auf ein lässiges Quodlibet, bei dem manches möglich, vieles erlaubt sein mag, insbesondere in jener "zwölften Nacht" vor dem Dreikönigstag, in der in merry old England die Unruhegeister los waren. Die Illusion und Enttäuschung der Liebe werde dadurch nicht geringer. Sie sind Shakespeares Thema, und dies Thema bleibt gewahrt. Man entdeckt es als einen Abgrund, als Labyrinth von Schein und Sein, kaum anders als im "Sommernachtstraum". Nur daß im illyrischen Laboratorium eben der derben Komik viel Platz eingeräumt ist. Schottenbergs Regie verschärft sie zur Turbulenz. Ein Bühnenrahmen steht im Hintergrund der kleinen Steglitzer Bühne, und obendrauf, auf einem Podium, wird kräftig das Schlagzeug gerührt (Live Percussion: Marnix Veenenbos). Zu signalartigem Lärm stürzen die Spieler jeder Szene nach vorn an die Rampe, auf das man nur ja merkt, daß man sich im Theater befindet. Die komischen Charaktere dürfen sich in komischen Situationen austoben. Aus Junker Rülp ist Sir Toby von Poops geworden, ein Vetter Falstaffs, der der Anspielung in seinem Namen alle Ehre macht und im übrigen von der Fallsucht erfaßt scheint. Ritter Andrew, früher bekannt als Junker Bleichenwang, betätigt die Komik der trockenen Pedanterie. Zu Anselm Lipgens und Thomas Kamper gesellt sich Imke Büchel als deftige Zofe Maria. Distanz zu ihnen hält der weise Narr, von Beatrice Frey als zahnloser Greis und kichernder Todesbote gespielt. Malvolio aber ist der Gegenspieler dieses verwegenen Trios, das Objekt ihres grausamen Spaßes. Sie verlocken ihn, den Haushofmeister, seine Liebe zu seiner Herrin Olivia preiszugeben. Anzusehen wie ein riesiger bärtiger Mullah, wirkt Malvolio als der einzige – wenn auch biedere und beschränkte – "Normale" unter lauter in Liebeswirrsal oder Suff Überdrehten. Erich Schleyer macht begreiflich, daß Malvolio eben deshalb nichts begreift und nach der Blamage weiterleben wird, als sei nichts geschehen. Wie er in einem zirkusreifen Kampf an schaukelnden Lampen k.o. geschlagen wird, gerät zum Höhepunkt des Übermuts – bei dem man der körperlichen Akrobatik und des Lärmpegels allerdings schon überdrüssig ist. Wird Shakespeares Illyrien von Skythen beherrscht? Ist der Herzog trotz seines italienischen Namens, asiatischer Herkunft? Schottenberg, im Verein mit Michael Zerz (Bühnenbild) und Erika Navas (Kostüm), macht es glauben. Im Tanz, den mit Schmuck behängten Oberkörper halbnackt, wirbel der Herzog herein, und Olivia (Susa Meyer) paßt sich den orientalischen Vorzeichen an. Marcello de Nardo, dem das Steglitzer Haus schon einen bemerkenswert hypernervösen Weininger (in Joshua Sobols Stück) sowie einen hampelnd-hintersinnigen Diener zweier Herren zu danken hat, spielt den Herzog als eine fremdartige Type. Wer weiß, ob Olivia bei seiner jähen Unberechenbarkeit gut aufgehoben ist.

Vielleicht hat Viola, wenn sie allein bleibt, das bessere Los gezogen. Sie umarmt am Ende den totgeglaubten Zwillingsbruder – in Form eines Kleiderbündels. Meriam Abbas spielt die Geschwister als Doppelrolle. Sie kann herzhaft, burschikos und resolut sein, aber sie rührt auch an durch verschämten Charme.


 
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