© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/97  09. Mai 1997

 
 
Botho Strauß: Die Fehler des Kopisten
Verschmelzung von Einst und Jetzt
Rezension
von Michael Wiesberg

"Brennholz" soll der Dichter Botho Strauß in seinem neuesten Essay "Die Fehler des Kopisten" nachgelegt haben. "Brennholz" auf seinen "Bocksgesang", dessen Glut die kritisch-dauererregten Bleistiftspitzer in den Redaktionsräumen dieser Republik einfach nicht zu ersticken in der Lage sind. Wohl auch deshalb, weil die Sprachgewalt des "Anschwellenden Bocksgesang" nichts von ihrer prophetischen Kraft verloren hat. Vier Jahre nach Erscheinen des "Bocksgesangs" rasselt die intellektuelle Klasse mehr denn je "mit ihren krummen Begriffsbestecken in den leeren Blechnäpfen der Vernunft", bestimmen mehr denn je die Selbstregulierungszyklen des berufsmäßigen Antifaschismus diese Republik. Mehr denn je ist dieses Land von einem "herunterdemokratisierten, formlosen Gesellschaftsbewußtsein" bestimmt, das "Kraft, Zorn und Richtung" vermissen läßt. So Strauß bereits Mitte der achtziger Jahre in "Paare, Passanten". In seinem neuesten Werk, "Die Fehler des Kopisten", stellt Strauß fest: "Verwahrlosung kommt aus der Mitte der Gesellschaft, nicht von den Rändern. Sie wird auf lange Sicht nur zunehmen. Man lebt dann mit unerträglichen Spannungen und unerträglichen Gleichgültigkeiten."

Dem Dichter bleibt vor dem Hintergrund des bedeutungs- und konsequenzlosen Gemurmels der verwahrlosten Medien- und Wohlstandsgesellschaft die Pflicht zur "Anamnesis", zur Wahrung des "unverletzlichen Einst, das auf der Suche nach Wohlsein verloren und vergessen wurde: Dichtung, Land, das nie faßlich, aber doch da ist, bewohnbar, fruchtbar, unverseucht, lebensschützend, lebensspendend. Ziel. Asyl."

Letztere Aussage von Strauß markiert gleichsam den Fixpunkt seiner jüngsten Gedankenarbeit, die in der Tradition seiner aphoristischen Werke "Paare, Passanten", "Niemand Anderes" oder "Beginnlosigkeit" steht. Das Rahmengerüst kreist um einen Mann, der sich in der Uckermark, nordöstlich von Berlin, ein Haus gebaut hat. Mit seinem kleinen Sohn schreitet er die bäuerlich geprägte Umgebung seines Wohnhauses ab. Daß es sich bei dem Ich-Erzähler um Strauß selber handelt, ergibt sich aus Hinweisen wie diesen: "Seit zwanzig Jahren", schreibt Strauß, "habe ich nach einem solchen Ort gesucht, wo niemand mir zunahe wohnt, der Ausblick weit und gestaffelt ist." Wer die Öffentlichkeitsscheu von Strauß kennt, weiß, wie er derartige Auskünfte zu deuten hat.

Das gedankliche Einholen der "Info-Gesellschaft", der Hyperrealität der Medien, die aus der Sicht des postmodernen französischen Philosophen Baudrillard zu einer "Agonie des Realen" führt, war Strauß von jeher ein zentrales Anliegen. So schrieb Strauß bereits in seiner Büchner-Preisrede 1989: "Das Medienzeitalter macht (…) unentscheidbar, wer Mensch und Maschine, wer Irre und wer Simulant ist." Jetzt steht zu lesen: "Die Jüngeren handeln ehrlich, wenn sie zugeben, daß sie nichts als gutgelaunte, leichtfüßige Medienschatten sind und einen Zugang zur Welt weder suchen noch wünschen." Gegen die pausenlosen Mediendiskurse, die nichts beinhalten und nichts Wesentliches mitteilen, bleibt dem Dichter nur noch die Sabotage-Rolle. "Inmitten der Kommunikation", schreibt Strauß, bleibt der Dichter "allein zuständig für das Unvermittelte, den Einschlag, den ununterbrochenen Kontakt, die Dunkelphase, die Pause". Gegen das "grenzenlose Sagbare" setzt er die "poetische Limitation".

Das hervorragende Kennzeichen der postmodernen Mediengesellschaft unserer Tage ist für Strauß das durch Überinformation und Reizstimulation herbeigeführte "Plunder-Bewußtsein". Ein Kennzeichen dieses "Plunder-Bewußtseins" ist die "katachronistische Überheblichkeit", mit der zum Beispiel der Gegenwartskünstler der Geschichte begegnet. Auch diese Klage ist im Straußschen Œuvre nicht neu, stand doch bereits in der "Fremdenführerin" zu lesen: "Wir stürzen unsere Zeit über alle anderen nieder. Kolonialherren der Vergangenheit! Die siegreiche Gegenwart unterwirft sich, was allemal anders gewesen ist, zerstört die Wildnis, die Regenwälder der Geschichte." Katachronisten, das sind jene Zeitgenossen, "die jegliches Ereignis aus der Vergangenheit aus heutiger Erkenntnis bewerten", die "Geschichte mit Zeitgeist kontaminieren", die alles "Ursprüngliche nur nach seinen letzten Ergebnissen", seinen späten "Verwirrungen" beurteilen. Worin die Kontamination im heutigen Deutschland besteht, sagt Strauß unmißverständlich: "In unserem Land: alle kritische Macht den Häretikern, auch wenn seit langem Kanon und Dogma keine Bedeutung mehr besitzen."

Strauß geht es vor dem Hintergrund dieses "Angriffs der Gegenwart auf die übrige Zeit" (Alexander Kluge) um die Erkundigung der Tiefendimension des Geschichtlichen, um die "untergründigen Strukturen". Als Antwort auf die ubiquitäre Gegenwart setzt Strauß eine hochgradige Sensibilisierung seiner Protagonisten in Gang. Die aus dieser Sensibilisierung erwachsene (romantische) Klage über den Verlust "authentischer Erfahrung" bestimmt denn auch den Essay "Die Fehler des Kopisten". Walter Benjamin kennzeichnete ein "auratisches Werk" einmal als "gelungene Verschmelzung dialektischer Pole von Einst und Jetzt, von Profanität und Sakralität". "Die Fehler des Kopisten" ist ein solches Werk.

Botho Strauß: Die Fehler des Kopisten, Carl Hanser Verlag, München 1997, 208 Seiten, Leinen, 34 Mark


 
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