© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/97  09. Mai 1997

 
 
Währungsunion: Geheimfahrplan mit Risiko
Eilzug ohne Notbremse
von Bruno Bandulet

Während der Widerstand in der Bevölkerung wächst, sind die herrschenden Kreise in Bonn, Brüssel und Paris mehr denn je entschlossen, das Projekt Euro durchzusetzen. Im März 1998 oder etwas später werden sich die EU-Finanzminister darauf einigen, wer an der Währungsunion teilnimmt. Der formelle Beschluß wird dann im April oder Mai von den Regierungschefs gefaßt. Die Maastrichter Konvergenzkriterien werden flexibel ausgelegt, so daß die meisten EU-Staaten mitmachen können. Nur Griechenland wird 1999 mit Sicherheit draußen bleiben, aber später dazu kommen. Es wird damit gerechnet, daß Großbritannien, Schweden und Dänemark (vorerst) von sich aus ablehnen. Gegen die Euro-Teilnahme Portugals besteht kaum noch Widerstand, auch Spanien darf von Anfang an teilnehmen, sofern das Haushaltsdefizit 1997 nicht größer als das deutsche ist. Dies hält man für erreichbar. Probleme liegen in Deutschland und Italien. Waigel wird mit Hilfe von Steuererhöhungen und, indem er staatliche Zinszahlungen soweit wie möglich auf spätere Jahre verschiebt, das Defizit für 1997 in die Nähe von 3 Prozent zu drücken versuchen. Es ist davon die Rede, daß Waigel glaubt, der deutschen Öffentlichkeit ein Defizit von etwa 3,9 Prozent zumuten zu können. (Ein erster Versuchsballon war seine, anschließend dementierte, Bemerkung laut Financial Times vom 7. April: "Ich habe mich nie an ein Kreuz von 3 Prozent genagelt.")

Italien hat trotz aller Manipulationen kaum Aussicht, in die Nähe von 3 Prozent zu kommen. Zur Beruhigung der deutschen Öffentlichkeit wird Italien voraussichtlich aus der ersten Runde ausgeschlossen, erhält aber die feste Zusage, bis 2002 dabei zu sein. Das bedeutet: eine kleine, harte Währungsunion steht ernsthaft nicht mehr zur Debatte. Auch deswegen nicht, weil die romanischen Länder im EG-Rat die notwendige Mehrheit haben, um 1998 Beschlüsse über den Teilnehmerkreis, die ihnen nicht passen, zu blockieren.

Für eine Verschiebung des Euro, von der selbst Kohl 1996 gelegentlich sprach, existieren keine Planspiele. Sollte sie dennoch notwendig werden, so die Brüsseler Quelle, dann müßte dies noch in der zweiten Jahreshälfte 1997 geschehen – nicht erst 1998.

Die neuerliche Kandidatur des deutschen Bundeskanzlers und der überraschend angesetzte Wahlgang in Frankreich machen deutlich, daß Kohl und Chirac alles auf eine Karte setzen. Daß sie das Vabanquespiel gewinnen, ist aber keineswegs ausgemacht.

Erstens könnte der Sozialist Jospin überraschend die Wahlen gewinnen – 1995 erhielt er immerhin 48 Prozent der Stimmen.

Zweitens ist angesichts der bedenkenlosen Manipulation und Aufweichung der Maastricht-Kriterien damit zu rechnen, daß Manfred Brunner wieder vor das Bundesverfassungsgericht geht (und diesmal auch der frühere Hamburger Landeszentralbankpräsident Nölling).

Drittens könnten die Ministerpräsidenten Stoiber, Biedenkopf und Schröder versuchen, die Euro-Einfuhrung über den Bundesrat zu blockieren.

Viertens ist nicht auszuschließen, daß der Widerstand in der CDU gegen Kohls Kandidatur zunimmt – und der Euro hängt schließlich ganz an seiner Person.

Fünftens muß sich Kohl die Frage stellen, wie er 1998 gegen den Euro-Skeptiker Schröder überhaupt gewinnen kann – eine Euro-Verschiebung wäre vielleicht die letzte Chance, Schröder den Wind aus den Segeln zu nehmen.


 
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