© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/97  09. Mai 1997

 
 
"Schlanker Staat": Volksbegehren entzweit die Gemüter im bürgerlichen Lager
Altehrwürdige Institution
von Michael de Wet

Bayern ist das einzige Bundesland, das mit dem Senat noch über eine zweite Kammer verfügt. In dieser altehrwürdigen Institution versammeln sich Vertreter von gesellschaftlichen Verbänden wie Kirchen, Gewerkschaften, Repräsentanten des Handwerks und der Landwirtschaft und anderer Gruppen, um dem Landtag bei Gesetzesvorhaben als sach- und fachkundige Instanz beratend zur Seite zu stehen. Damit aber soll es nach dem Willen einer kleinen Partei bald ein Ende haben. Als "völlig überflüssiges Überbleibsel aus dem Ständestaat" will die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) mittels Volksbegehren die zweite Kammer abschaffen lassen. Nachdem die ÖDP am 14. März dem bayerischen Innenminister die für die Einleitung ihres Volksbegehrens "Schlanker Staat ohne Senat" benötigte Mindestzahl von 25.000 Unterschriften vorgelegt hat, soll nun Ende Juni die zweite Etappe zur Demontage des Senates eingeleitet werden: Innerhalb von zwei Wochen müssen 850.000 wahlberechtigte Bürger des Bundeslandes in ihren Gemeindeämtern das Volksbegehren unterschreiben, damit es Gültigkeit bekommt.

Ein hartes Brot für eine kleine Partei. Doch die ÖDP steht mittlerweile mit ihrem Vorhaben nicht mehr allein. Die bayerische SPD ist nach anfänglichem vorsichtigen Zögern auf den Zug aufgesprungen, was der ganzen Aktion bereits einen deutlichen Vorgeschmack auf den kommendes Jahr im Freistaat bevorstehenden Landtagswahlkampf gibt. So erklärte der SPD-Politiker Helmut Ritzer, daß die Verbände nicht im Senat beraten, sondern im Landtag gehört werden sollten. Nur lehrt die Erfahrung aus anderen Länderparlamenten, daß man gerne die Verbände hört – dann aber doch so abstimmt, wie es die Parteidoktrin nahelegt.

Innerhalb des sozialdemokratischen Lagers existieren allerdings auch gegenteilige Meinungen: der traditionalistische Arbeitnehmerflügel zählt beispielsweise zu den Befürwortern einer Erhaltung des Senates, wie sich auch der DGB-Bayern explizit für den Erhalt der zweiten Kammer ausgesprochen hat. Grüne, FDP und Republikaner haben bislang eindeutige Stellungnahmen vermieden. Aber nicht nur die Gegner des Senates formieren sich. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber erklärte, für ihn sei der Senat "ein Juwel der bayerischen Verfassung". Seitens der CSU wertet man das ganze Volksbegehren nur als Wichtigtuerei einer Splitterpartei. Der Bayernbund als überparteiliche Organisation der weißblauen Patrioten schließlich berief Mitte April in München eine Versammlung all jener ein, die sich für den Erhalt der zweiten Kammer engagieren. Dieter Blumenwitz, einer der profundesten Staatsrechtler Bayerns, hielt dort ein Plädoyer für den Senat als "gemeinwohlorientierte Staatsberatung", eine sachverständige und lebensnahe Institution, die ein nötiges Gegengewicht zu den Berufspolitikern im Landtag bilden müsse. Dem Senat als überparteilicher Interessenvertretung der Bürger und ihrer Korporationen käme ein "föderalistisches Wächteramt" gegenüber den Parteien zu, die sich zusehends zu Landesfilialen bundeseinheitlicher Organisationen entwickelten, denen es nur um Machterhalt oder Machtgewinn gehe. Daß der Senat keineswegs eine untätige und einflußlose Honoratioreninstanz sei, belegte Blumenwitz anhand eines Senats-Antrages zum Schutz des einheimischen Mittelstandes, eine Verpflichtung bei Bietern und Subunternehmern zu erwirken, daß Anbieter nicht unterhalb der bayerischen Tariflöhne beschäftigt werden dürfen.

Die schärfsten Attacken gegen das Volksbegehren aber werden von der Bayernpartei (BP) geritten, die bislang als einzige Partei entschlossen gegen die ÖDP in die Offensive gegangen ist. BP-Chef Hubert Dorn brachte seine Einstellung auf der Bayernbund-Versammlung drastisch auf den Punkt, als er dem ÖDP-Argument, ein schlanker Staat solle sich den Senats-Jahresetat von 8,5 Millionen Mark sparen, entgegenhielt: "Der bayerische Löwe schlägt sich einen Zahn aus, damit er am Tag 80 Gramm Zahnpasta spart." Solche harschen Töne des Bayernpartei-Vorsitzenden sind vor allem deshalb von besonderer Pikanterie, als gerade die Bayernpartei und die ÖDP im oberbayerischen Bezirkstag eine Fraktionsgemeinschaft bilden, die durch das Volksbegehren vor eine Belastungsprobe gestellt wird. Denn für die Bayernpartei geht es um eine Kernfrage der bayerischen Eigenstaatlichkeit.

Zudem riefen die ÖDP-Aktivitäten auch die "Unabhängigen Ökologen Deutschlands" (UÖD) auf den Plan, die im Zwist zwischen ÖDP und Bayernpartei zugunsten der weißblauen Regionalisten Partei ergriffen. "Der Wind der Geschichte bläst in Richtung Regionalismus. Allein die ÖDP begreift das nicht und pfeift lieber auf dem letzten zentralistischen Loch", meinte UÖD-Pressesprecher Siegfried Strelow gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Wirkliche ökologische Demokraten sollten nicht die Abschaffung des Senates verlangen, sondern sich dafür einsetzen, daß im Senat künftig auch die Naturschutzverbände Sitz und Stimme haben, so der Gruhl-Getreue.

Die Bayernpartei verabschiedete auf ihrem jüngsten Landesparteitag derweil eine Resolution, in der die Beibehaltung des Senates gefordert und die bisherige bayerische Verfassung als "ein leuchtendes Dokument ungebrochenen bayerischen Selbstbehauptungswillens" bezeichnet wurde, die "im Gegensatz zum Bonner Grundgesetz das Siegel eines Volksentscheides" trage. Daß es ihr mittels eines solchen nun an den Kragen soll, hätten sich die Väter der Freistaatsverfassung sicher nicht träumen lassen.


 
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