© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Europawoche in Berlin: Die Bevölkerung durfte schon einmal mit Probe-Euros üben
"Wegen mir muß das nicht sein"
von Kristof Berking

Am 5. Mai 1949 wurde der Europarat gegründet, am 9. Mai 1950 der Robert Schumann Plan verabschiedet; das erste Datum wird von Deutschland, das zweite von der Europäischen Kommission als offizieller Europatag favorisiert. Seit drei Jahren findet um diese beiden Maitage herum eine "Europawoche" statt. Dieses Jahr wurden vom 3. bis 11. Mai gemeinsam von den Bundesländern, der Vertretung der Europäischen Kommission und dem Informationsbüro des Europäischen Parlaments bundesweit über 900 Europa-Veranstaltungen ausgerichtet.

Für Berlin hatte man sich etwas besonderes ausgedacht: Unter dem Motto "Der Euro rollt in Berlin" wurden speziell von der Landesbank geprägte "Probe-Euros" im Wert von 6,6 Millionen D-Mark herausgegeben. Auch der Verbraucher müsse sich auf die Währungsunion vorbereiten und sich informieren, hieß es in der massenhaft ausliegenden Begleitbroschüre: "Bisher war das nur ’passiv’ mit Hilfe von Aufklärungsbroschüren möglich. Mit der Landesbank Berlin und der Euro-Aktionswoche können Sie den Euro bereits heute erleben und sich ’aktiv’ informieren."

Und das sah so aus: Man tauschte bei den Filialen der Berliner Sparkasse oder an einer der aufgestellten Wechselbuden D-Mark gegen Übungs-Euros, die in einer "krummen" Stückelung von 1,5-, 2,5- und 10-Euro-Münzen ausgegeben wurden, damit man sie nicht später mit richtigen Euros verwechsele; Umtauschkurs: 1 Euro = 2 DM. Mit diesen "Euros" nun – die Rückseite der Medaillen zeigt sinnigerweise das Brandenburger Tor – konnte ma in 52 Geschäften an der Tauentzienstraße, am Kurfürstendamm, rund um den Alexanderplatz und im Nikolaiviertel einkaufen. Lerneffekt: Nur die Münzen, die Zahlen, die Rechnungseinheit sind anders, der Realwert bleibt erhalten, man bekommt für sein Geld dasselbe. Eine ganze Reihe von Geschäften bewarben sogar Sonderangebote, die nur galten, wenn man mit dem Euro-Geld bezahlte.

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Noch nicht einmal diese Sonderangebote wurden wahrgenommen. Bei Ruhnke Optik, wo Euro-Besitzer aus einem großen Sortiment von Sonnenbrillen auswählen konnten, betrug die Preisdifferenz sogar bis zu 98 D-Mark, und dennoch gingen die Kunden nicht auf die andere Straßenseite, um Euros einzutauschen, sondern bezahlten lieber in D-Mark. Auch bei Café Kranzler am Ku’damm mochte kaum einer mit Euros bezahlen; die Verkäuferin: "… ach doch, heute morgen ein italienischer Tourist". Enttäuscht auch der Filialleiter von McDonalds: "Niemand hat das Euro-Sonderangebot genutzt. Das hat den Betrieb ganz schön aufgehalten, wir hatten extra eine Kasse nur mit Euros bestückt." Überall das gleiche Bild: Der Umsatz in Euro war äußerst gering oder gleich Null. Offenbar wurden die gold-, silber- und kupferfarbenen Medaillen nicht zum Ausgeben, sondern hauptsächlich als Souvenir oder Sammlerobjekt gekauft. Gut für die Landesbank! Von den 500.000 Stück, deren Absatz sie meldete, dürfte nicht viel mehr als das Wechselgeld zurückkommen, das sich die Ladenbesitzer vorher besorgt hatten.

Fragte man die Verkäuferinnen und Verkäufer nach ihrer persönlichen Meinung zur geplanten Europäischen Währungsunion, so begann die Antwort meistens so: "Wollen Sie eine ehrliche Antwort?" oder: "Wollen Sie die offizielle Meinung hören?" oder (wenn man sich als Journalist vorstellte): "Dazu möchte ich mich nicht äußern." Die Verkäuferin bei der Drogerie Douglas befand: "Für mich hat das nicht so eine Bedeutung", und die eurokritische Verkäuferin im Schuhgeschäft Neumann, dessen Euro-Sonderangebote ebenfalls von keinem einzigen wahrgenommen worden waren, sagte auf die Frage, ob sie sich denn schlecht informiert fühle: "Nein, ich bin nur skeptisch." Sogar die Dame in der Eurowechselstelle antwortete – leicht eingeschüchtert –: "Wegen mir muß das nicht sein." Die Bedienung im Wiener Café im Kaufhaus des Westens war etwas forscher und erklärte, der Euro sei doch nur dazu da, damit die Wirtschaft ihr Geld waschen könne; die einfachen Leute hätten Angst, daß mit dem Euro alles teurer wird, "und wahrscheinlich wird es das ja auch".

War also bei der Kundschaft und dem Verkaufspersonal die Haltung zum Euro indifferent bis ablehnend, so sah das Stimmungsbild bei den Ladenbesitzern und Filialleitern etwas anders aus; sie hatten sich ja auch bereit erklärt, an der Aktion teilzunehmen. Ruhnke-Optik zum Beispiel, so erklärte der Filialleiter, sei immer schon allem Neuen gegenüber aufgeschlossen gewesen, "das war auch beim langen Donnerstag so". Einer sah die Aktion im wesentlichen als eine verkaufsfördernde Attraktion, um die Menschen in die Innenstadt und in die Läden zu locken. Für einen anderen bestand der Wert darin, daß Berlin auf diese Weise einmal wieder ganz oben in den bundesweiten Nachrichten stand, und zwar mit einer positiven Meldung, "nicht wegen der Kriminalität oder so". Der Juwelier schließlich (null Umsatz in Euro) sah den Sinn der Aktion bereits dadurch erfüllt, daß man über den Euro gesprochen wird, "so wie wir jetzt". So sieht es auch die Berliner Vertretung der Europäischen Kommission. Sie zeigte sich in ihrer offiziellen Stellungnahme insbesondere damit zufrieden, daß große Mengen von Informationsmaterial verteilt und intensive Gespräche mit den speziell geschulten Euro-Beratern geführt worden seien. Die Aktion sei ein großer Erfolg, "auch wenn der Berlin-Euro offensichtlich fester als erwartet in der Tasche sitzt". Auch namhafte Politiker traten im Rahmen der Europawoche in Berlin auf den Plan, um für den Euro Werbung zu machen. Da war zunächst Monika Wulf-Mathies, die frühere Gewerkschaftschefin der ÖTV und jetzige EU-Kommissarin für Regionalpolitik. Sie hatte am 4. Mai auf der Europa-Party in der Nähe des Alexanderplatzes – "Der Euro rollt am Roten Rathaus" – einen Auftritt. Der Platz war gesäumt von italienischen, griechischen, französischen Eß- und Delikateßständen, an denen man mit den Übungs-Euros bezahlen konnte. An Info-Ständen der Veranstalter der Europawoche wurde man von smarten jungen Damen und Herren –Typ JU-Funktionär – über die Vorteile des Euro informiert; auch die CDU selbst war mit einem Stand vertreten.

Frau Wulf-Mathies sprach knapp zehn Minuten von der Hauptbühne zu den mehr oder weniger zufällig versammelten Menschen, die mit einem Eis in der Hand des Weges kamen oder zuvor der Musikband zugehört hatten. Inhaltlich war der Ansprache nicht viel zu entnehmen, außer daß mit dem Euro alles besser wird. Deutlicher formuliert hatte Frau Wulf-Mathies ihre Thesen zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion im Oktober 1996 bei einer Großveranstaltung in Stuttgart, im Haus des Landtags. Ihre Grundargumentation lautet danach in etwa so: "Gesamtwirtschaftlich verlieren alle, wenn nationale Politk gegen internationale Kapitalströme immer weniger ausrichten kann." Angesichts der weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen müsse man sich in Europa zusammenschließen "im Kampf gegen verschärften internationalen Wettbewerb. (…) Die Europäer sollten deshalb endlich auf nationale Wettläufe um den radikalsten Abbau von Sozial- und Umweltstandards verzichten …" Keine der europäischen Volkswirtschaften sei stark genug, allein den Strukturwandel sozial zu gestalten, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen und europäische Sozial- und Umweltstandards zu garantieren. Aber gemeinsam sei es möglich, Wettbewerbsfähigkeit und Solidariät zu stärken, "sofern wir nationale und europäische Politk auch mit den dafür notwenidgen Instrumenten ausstatten". Die Wirtschafts- und Währungsunion müsse ein gezieltes antizyklisches Verhalten ermöglichen, "wenn zum Beispiel die Vollbeschäftigung gefährdet ist." Soweit Wulf-Mathies in Stuttgart.

Bei ihrer kurzen Ansprache vor dem Roten Rathaus erhielt sie kaum Applaus. Um so heftiger waren die Unmutsäußerungen vieler Zuhörer, überwiegend Ost-Berliner, die sie parierte mit: "Lautstärke ist kein Argument". Vom Podium gestiegen war Frau Wulf-Mathies sogleich von Zuhörern umringt, die offensichtlich auf Brüssel und "die Politiker" nicht gut zu sprechen waren. Zu einer Fortsetzung der kontroversen Einzeldiskussionen mit Mikrofon und auf der Bühne war Frau Wulf-Mathies nicht bereit. Hätte sie die Menschen nach ihrer Meinung zum Euro gefragt, so hätte sie überwiegend ablehnende Äußerungen zu hören bekommen – "aber uns fragt ja keiner", so einer der Polizisten, die sie beschützten. Schließlich gab die Kommissarin noch einem Fernsehteam vom SFB ein Interview, in dem sie sich über die Vorurteile der Menschen beklagte, und entschwand in Richtung Flughafen. Ihre Mission, die "Vorurteile" der Bevölkerung gegen den Euro und Brüssel-Europa zu zerstreuen, konterkarierte sich selbst: Ein Anruf in ihrem Sekretariat in Brüssel ergab, daß Frau Wulf-Mathies nur für diesen 10minütigen Auftritt nach Berlin geflogen war.

Szenenwechsel: Einen Tag später, am 5. Mai, hielt der stellvertretende Vorsitzende der CSU, Ingo Friedrich, in der Berliner Verbindungsstelle der Hanns-Seidel-Stiftung ein flammendes Plädoyer für den Euro. Friedrich ist Mitglied des Europäischen Parlaments, gehört der Paneuropaunion an und kann als Prototyp des "rechten" Euro-Befürworters gelten. Vor einem kleinen, illustren Kreis, in dem schelmische Scherze zur Überlegenheit der Bayern genauso gut ankamen wie augenzwinkernde Spekulationen über die Zukunft Südtirols und Schlesiens, ging Friedrich der Frage nach, ob der Euro ohne politische Union funktioniere, was er mit ja beantwortete.

Es solle mit der EU kein Bundesstaat nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika geschaffen werden, sondern ein Europa der Vaterländer und Regionen, in dem von Fall zu Fall, ganz pragmatisch, entschieden werden solle, welche Aufgabe auf welcher der drei Identifikationsebenen – Land, Nationalstaat, Europa – am besten gelöst werden könne. Dabei ließ Friedrich allerdings keinen Zweifel daran, daß fast nichts von dem, was der Nationalstaat früher innerhalb seiner Grenzen regeln konnte, heute noch dort geregelt werden könnte – "Sie können hinlangen, wo Sie wollen." Die Steuern zum Beispiel könne man zwar national festsetzen, "aber mit welchen Konsequenzen?". Die europäischen Luftfahrtkonzerne zum Beispiel, die sich nun in einem einzigen Konzern zusammenschließen wollen, hätten beschlossen, ihre Zentrale nicht etwa in München oder Berlin zu bauen, sondern in Holland, weil man dort nur 10 Prozent Steuern auf den Gewinn zahlt. Friedrich: "Die Steueroasen müssen wir ganz ganz schnell ausdünnen. Wir müssen Mindeststeuersätze, die für alle in Europa gelten, zustandebringen, sonst werden allein aus Steuergründen Arbeitsplätze verschoben wie Mikadosteine oder Schachfiguren." Andererseits stellte Friedrich Holland und auch England als Vorbild für die notwendigen Reformen hin, und der Euro sei bereits heute ein, ja, der erfolgreichste Beitrag zur Modernisierung der verkrusteten Staaten Europas; "ich muß einschränken: Die Maggie Thatcher hat ihr England bereits modernisiert, als es den Euro noch nicht gab. Aber das ist die grandiose Leistung dieser Lady." Die in der anschließenden Diskussion geäußerte Ansicht, daß nur ein echter Wettbewerb der Währungen, das heißt ein Europäischer Währungsmarkt die Stabilität der Währungen dauerhaft garantieren könne, teilte Friedrich nicht. Er distanzierte sich von den "Wilhelm Hankels" und meinte, es sei sogar darüber nachgedacht worden, ob man nicht gleich mit den Amerikanern zusammen eine Währungsunion machen solle, einen "Euro-Dollar" für den ganzen Westen, und das allerbeste wäre natürlich eine einzige Weltwährung, aber das könne man erst in ein paar Jahrzehnten schaffen.

Interessant war Friedrichs Prognose, mit welchem Kniff das Dilemma zwischen strikter Einhaltung der Stabilitätskriterien und der daher drohenden Ausgrenzung einiger Staaten, insbesondere Italiens, das so gerne von Anfang an dabei sein möchte, im Frühjahr 1998 vermutlich gelöst werden wird: "Im Prinzip nehmen wir alle Länder sofort auf, aber der Vollzug erfolgt erst, wenn die Kriterien erreicht sind; dann erst wird der Beschluß wirksam."


 
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