© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Palästina: Nahölstliche Affären und die nutzlos-hektische Reisediplomatie des Westens
Mossad-Bomben gegen Siedler
von Johann F. Balvany

Der Friedensprozeß ist tot", erklärte – dem Israelischen Rundfunk zufolge – David Afek, seines Zeichens Chef für Politische Studien im Jerusalemer Außenministerium. In dieselbe Kerbe schlug jüngst Syriens Präsident Hafez Al Assad nach seinem Zusammentreffen mit dem ägyptischen Amtskollegen Mubarak: "Die Pforten des Friedens sind seit vergangenem Jahr (dem Regierungsantritt Netanjahus; Anm. d. Verf.) geschlossen." Gleichzeitig forderte der israelische Verteidigungsminister Amnon Shahak eine deutliche Erhöhung des nationalen Verteidigungshaushaltes.

Aus Syrien wird die Ankurbelung der Produktion chemischer Waffen gemeldet. Ebenso wie Ägypten weigerte man sich, den am 29. April in Kraft getretenen Chemiewaffen-Vertrag zu unterzeichnen, ebenso wie es Israel hartnäckig ablehnt, dem Atomwaffensperrvertrag beizutretreten. Auch der Iran rüstet angeblich massiv auf; anläßlich des kürzlichen Besuchs des Teheraner Parlamentspräsidenten in Moskau munkelten Beobachter von Lieferungen modernster russischer Waffensysteme an das Mullahregime. In Tunis angesiedelte PLO-Behörden und Informationsdienste erklären, daß der israelische Druck auf die Autonomieverwaltung ständig wachse. Die Arbeitslosigkeit im Palästinensergebiet erreiche bald die 70-Prozent-Marke, jüdische Siedlungen würden kontinuierlich erweitert und die demographische Übernahme Ost-Jerusalems ebenso vorangetrieben wie die Enteignung arabischen Grundbesitzes unter den verschiedensten Vorwänden. Infolge ökonomischer Strangulierungsmaßnahmen erleide das Westjordanland und der Gazastreifen Tag für Tag einen Verdienstausfall zwischen sieben und zehn Millionen Dollar. Transportbewilligungen für den Handelsverkehr zwischen diesen beiden Gebieten würden willkürlich verweigert, und der Ausbau des Fischereihafens von Gaza sowie die Errichtung eines Flugplatzes scheiterten "aus Sicherheitsgründen" am Nein der Israelis. Noch immer erfolge die Kontrolle des Personen- und Warenverkehrs in und aus dem Autonomiegebiet allein durch die jüdischen Behörden, die dabei ganz nach eigenem Gusto verführen und gelegentlich mit Repressionen nicht sparten. Folgt man einer neuen UNO-Statistik, so ist im Autonomiegebiet seit dessen Gründung 1993 bis heute das Pro-Kopf-Einkommen auf 36 Prozent des vorherigen Standes gesunken.

Die Mitte April vorgenommenen leichten Lockerungen der Abriegelung, die für rund 20.000 Palästinenser den Weg zur Arbeit nach Israel wieder freimachten, sind angesichts all dieser Umstände kaum anders denn als Schönheitskorrekturen zu bewerten. An der deutlichen Klimaverschlechterung seit dem 18. März, jenem Tag, als in Tel Aviv entschieden wurde, mit dem Bau einer neuen jüdischen Siedlung auf dem Hügel Har Homa in Ost-Jerusalem zu beginnen, änderte sich jedenfalls nichts. Im Gegenteil: Der Unmut in der palästinensischen Bevölkerung macht sich wieder in einem Ausmaß bemerkbar, das an die Zeiten der "Intifada" erinnert. Ereignisse wie die Erschießung eines palästinensischen Schülers im Westjordanland durch israelische Soldaten am 27. April lösen auf regionaler Ebene regelrechte Volksaufstände aus.

Die Reisediplomatie des von US-Präsident Clinton als "Krisenfeuerwehr" in die Region entsandten Dennis Ross wird eingedenk der Weigerung Washingtons, der israelischen Regierung wirklich schmerzhaft "auf die Füße zu treten", im ganzen arabischen Raum äußerst skeptisch beurteilt. Den meisten Beobachtern erscheint sie als bloße Alibimaßnahme. Im PLO-Außenministerium in Tunis verkündet man gar, Ross habe vielmehr als "Agent Amerikas" denn als Vermittler gewirkt. Zusammen mit knapp einem Dutzend anderer hoher jüdischer US-Politiker habe er seit Jahr und Tag maßgeblich dazu beigetragen, daß die amerikanische Nahostpolitik die eingefahrenen pro-israelischen Gleise nicht verlasse.

Auch die Bemühungen des Nahost-Beauftragten der EU, Miguel Angel Moratinos, der Anfang Mai aus Israel zurückkehrte, schlugen fehl. Moratinos wollte die Regierung in Tel Aviv dazu bewegen, die Gespräche mit Syrien wiederaufzunehmen. Doch die Vorbedingungen aus Damaskus wurden abgelehnt, weil sie den völligen Rückzug Israels von den annektierten Golanhöhen beinhalteten, was Netanjahu kategorisch ablehnt. Aus dem Büro des Regierungschefs wurde der europäischen Geschäftigkeit in Nahost ganz allgemein eine Abfuhr erteilt: Israelische Agenturmeldungen zitierten den Generalsekretär der israelischen Regierung, Danny Naveh, mit einer Bemerkung, wonach diese Bemühungen "nur die regionalen Initiativen der amerikanischen Diplomatie beeinträchtigen".

Was alles von israelischer Seite unternommen wird, um den sogenannten "Friedensprozeß" und dessen Bewertung in den internationalen Medien mit allen Mitteln zu beeinflussen, das deutet – sofern sie der Wahrheit entspricht – eine vom PLO-Informationsministerium Anfang Mai bekannt gemachte Affäre an. Die Führung der Pa-lästinenser gab an, daß die Verhaftung des 27jährigen Studenten der Islamischen Universiät von Gaza, Ibrahim Halabi, durch eigene Sicherheitskräfte zur Aufklärung von Sprengstoffanschlägen gegen die jüdischen Siedlungen Kfar Darom und Netzarim beigetragen habe. Halabi, der in israelischen Gefängnissen "umgedreht" worden sei, erhielt demnach von seinem Mossad-Führungsoffizier den Auftrag, Angehörige der islamistischen Terrororganisation "Dschihad" (Heiliger Krieg) für Selbstmordoperationen gegen Israel zu rekrutieren. Das Ziel: Es sollte der Eindruck verstärkt werden, die PLO-Regierung Arafats stehe dem Terror im Nahen Osten machtlos gegenüber. Halabis Bruder Rashed, ein Spitzenfunktionär der "Heiligen Krieger", habe gleich zwei Gesinnungsgenossen, Anuar Chabraui und Abdallah Madhum, bei der Hand gehabt. Ahnungslos, in wessen Auftrag sie eigentlich operierten, machten sich die beiden mit ihren Sprengsätzen ans Werk. Diese detonierten jedoch vorzeitig und töteten dabei ihre Überbringer.

Solange die USA und die europäischen Staaten derartige skandalöse Winkelzüge Israels hinnehmen, öffnen sie den von Teheran aus organisierten, finanzierten und bewaffneten subversiven islamistischen Kräften in Palästina – und ebenso in Ägypten, im Sudan und in Algerien – Tür und Tor. Statt auf Ergebnisse einer ebenso hektischen wie nutzlosen Reisediplomatie im Nahen Osten zu hoffen, müssen die Vereinigten Staaten endlich ernsthaft, das heißt mit annehmbaren Vorschlägen, an Syrien und den Iran herantreten. Und sie müssen den "Falken" Netanjahu durch massiven Druck von seinem bisherigen verhängnisvollen Kurs in Palästina abbringen.

Johann F. Balvany hielt sich bis vor kurzem als JF-Korrespondent für Nahostfragen mehrere Wochen lang in Tunesien auf, wo er vor Ort Stimmungen im arabischen Raum einfangen konnte.


 
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