© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Maastricht-Europa: Vorteil des Binnenmarktes
Nur für die Großen
von Thomas Laake

Im Juni des Jahres 1985 legte die EG-Kommission ihr "Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes" vor. Auch wenn es sich bei der Schaffung eines gemeinsamen Marktes prinzipiell um ein über dreißig Jahre altes Ziel handelte, erhielt es erst durch die Vorlage dieses Weißbuches einen präzisen Auftrag. Im Weißbuch war zum ersten Mal ein detaillierter, mit genauen Zeitvorstellungen versehener Gesetzesfahrplan zur Vollendung des EG-Binnenmarktes enthalten.

Der im Auftrag der EG-Kommission erarbeitete und im Jahre 1988 vorgelegte sog. "Cecchini-Bericht" bezifferte den gesamtwirtschaftlichen Nutzen des Binnenmarktprogrammes mit rund 430 Mrd. DM. Ein zusätzliches Wachstum des Bruttosozialproduktes von 4,5 Prozent, die Senkung der Verbraucherpreise um 6,1 Prozent sowie die Schaffung von 1,8 Millionen Arbeitsplätzen wurde vorausgesagt. Sieht man einmal davon ab, daß bezahlte Gutachten meistens einseitig zum Lobe des Zahlers ausfallen und der Cecchini-Bericht zudem wissenschaftlich schwach ist, dürfte dennoch richtig sein, daß der europäische Binnenmarkt vor allem den Massengüterproduzenten größere Chancen und billigere Massenproduktion bietet und dadurch auch den Konsumenten aufgrund niedrigerer Preise für Massenprodukte zugute kommt. Auch wenn sich daraus tatsächlich ein gewisser Wachstumseffekt errechnen läßt, so ist doch der europäische Binnenmarkt insgesamt weit hinter seinen Erwartungen zurückge- blieben.

Peter Hort schrieb dazu in der FAZ vom 18. Juni 1993 unter der Überschrift "Verzagtheit nach der großen Hoffnung": "Eigentlich hätte es ein Jahr des Triumphes werden sollen. Statt dessen greift in Europa die Angst vor dem Niedergang um sich. Alle Annahmen, daß das erste Jahr nach der Vollendung des Binnenmarktes durch Prosperität und Zuversicht geprägt sein werde, haben sich in nichts aufgelöst. Von Monat zu Monat müssen die Ökonomen im Brüsseler Hauptquartier der Europäischen Gemeinschaft die Wachstumserwartungen nach unten korrigieren. Und allem Anschein nach wird die Arbeitslosigkeit erst nächstes Jahr einen neuen traurigen Rekord erreichen."

Auch der europäische Binnenmarkt konnte es nicht verhindern, daß Europa ab 1992 in eine Rezession schlitterte und die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellten. Das von den Euro-Euphoristen prophezeite "goldene Zeitalter" ist mit der Vollendung des europäischen Binnenmarktes nicht angebrochen. Vom europäischen Binnenmarkt profitieren in erster Linie leistungsfähige, finanzkräftige Großunternehmen, die ohnehin den Vorteil niedrigerer Durchschnittskosten genießen. Weil diese Unternehmen aufgrund ihrer Größe globale Produktions- und Verkaufsstrategien verfolgen, kommen diesen Unternehmen auch zuvorderst die Vorteile des Binnenmarktes (freier Verkehr von Waren und Kapital sowie Freizügigkeit der Arbeitnehmer) zugute. Für regional operierende Klein- und Mittelbetriebe sind diese Vorteile des gemeinsamen Marktes bedeutungslos, ausgenommen Betriebe in speziellen Branchen. Daß diese Globalisierung und Liberalisierung der Märkte den Verbrauchern in einigen Bereichen (z.B. Telekommunikation, Flugverkehr, Finanzdienstleistungen) Vorteile bringt, steht außer Frage. Fest steht aber auch, daß in einem derart grenzenlosen Markt nur die größten und stärksten Unternehmen langfristig überleben werden, was einen in der Geschichte beispiellosen Konzentrationsprozess zur Folge haben wird. Dieser Konzentrationsprozess führt zur Standardisierung der Produktion und somit zur Standardisierung des Warenangebotes.

Es ist zu befürchten, daß die meisten mittelständischen Unternehmen diesem enormen Konkurrenzdruck durch die Großen, die mit ihren niedrigen Preisen bemüht sind, die Waren der Mittelständler aus dem Feld zu schlagen, auf Dauer nicht gewachsen sein werden.


 
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