© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Wahlen in Frankreich: Der etwas andere politische Mikrokosmos Elsaß
Bürgerliche Dissidentenschar
von Robert Schwarz

Trotz der kurzen Frist für den Wahlkampf zur französischen Nationalversammlung am 25. Mai haben die Elsässer die Möglichkeit, aus einem bunten Kandidatenangebot zu wählen. Neben der Auseinandersetzung der großen, landesweit vertretenen politischen Formationen wie dem gaullistischen RPR, der zentristischen UDF und der sozialistischen PS sowie dem rechtsnationalen FN wollen im Land zwischen Rhein und Vogesen auch die kleineren politischen Organisationen ein vernehmliches Wort im Stimmenwettstreit mitreden. Mehrere zum Teil regional sehr gut verankerte Vereinigungen können sich zwar keine großen Hoffnungen auf die Entsendung eines Vertreters ins Palais Bourbon machen, doch gilt es bereits jetzt, die Kräfte für die Regionalwahlen 1998 zu messen.

RPR und UDF, die, wie überall in Frankreich, Wahlabsprachen getroffen haben, plagen sich mit bürgerlichen Dissidenten, die sich den Pariser Parteileitungen nicht beugen wollten und nun auf eigene Faust ihr Kandidatenglück suchen. Im Wahlkreis Rappoltsweiler (Ribeau-villé) etwa muß sich der bisherige Abgeordnete Fuchs mit dem Herausforderer Marc Dumoulin, auseinandersetzen, der von lokalen gaullistischen Parteigrößen unterstützt wird. Daneben ist die "Unabhängige Rechte", ein konservatives Wahlbündnis von de Villiers’ "Bewegung für Frankreich" (MPF) mit dem "Centre National des Indépendants et Payans" (CNIP), fast überall mit ihren Kommunalpolitikern präsent.

In Mülhausen-Ost könnte eine bürgerliche Gegenkandidatur dazu führen, daß der Noch-Abgeordnete Joseph Klifa (UDF) den zweiten Wahlgang gar nicht erst erreicht und die Entscheidung zwischen dem sozialistischen Bürgermeister Jean-Marie Bockel sowie dem FN-Kandidaten Gérard Freulet fallen muß. Freulet hatten 1995 bei den Gemeinderatswahlen 34,46 Prozent der Mülhausener ihr Vertrauen ausgesprochen. Sein Gegner Bockel siegte damals nur, weil Klifa im zweiten Wahlgang ein Bündnis mit den Sozialisten eingegangen war. Umgekehrt hatten die Sozialisten 1993 die Wahl Klifas in die Nationalversammlung ermöglicht. Ob die Stimmübertragung diesmal so ohne weiteres funktioniert, ist ungewiß. Mülhausen gehört zu den wenigen Stimmbezirken, in denen die Partei Le Pens sich realistische Chancen ausrechnen kann, trotz Mehrheitswahlrecht erfolgreich zu sein.

Gerade im Elsaß zeigt sich, daß das Feld der ökologischen Parteien immer bunter und unübersichtlicher wird. Antoine Waechters "Mouvement Écologiste Indépendant" (MEI), die sich nach wie vor vehement aus der Rechts-Links-Kategorisierung heraushält, hatte versucht, mit den Grünen (die auf nationaler Ebene ein Wahlbündnis mit den Sozialisten eingegangen sind) regional eine Absprache zu treffen. Im Oberelsaß ist das im Gegensatz zum Unterelsaß teilweise auch geglückt: So wird Waechter persönlich im Wahlkreis Thann-Altkirch auf keinen grünen Gegenkandidaten treffen. Das MEI als zur Zeit stärkste ökologische Gruppierung im Regionalrat schickt dort in sechs von neun Wahlkreisen Bewerber ins Rennen. Wo das MEI nicht selbst antritt, unterstützt es die autonomistischen Kandidaten.

Im sehr heiß umkämpften Wahlkreis Straßburg-Land treten gleich fünf Bewerber mit ökologischem Anspruch auf. Neben den Grünen vertritt Karl Goscheschek als Vorsitzender des Bürgerforums Elsaß-Lothringen auch die Farben der Umweltschutzbewegung. Das Bürgerforum hat, um eine Bündelung der heimatbewußten Kräfte zu erreichen, ein Bündnis mit der autonomistischen Elsässischen Volksunion geschlossen. Beide Parteien tragen zusätzlich das Etikett von "Solidarités-Région-Écologie". So bezeichnet sich ein Wahlzusammenschluß der regionalistischen Parteien mit dem ökologischen CES des Europaabgeordneten Noel Mamère, der notwendig war, um in den Genuß von Sendezeiten und Wahlkampfgeldern zu gelangen.

Die EVU und das Bürgerforum stellen sich in insgesamt 7 von 16 elsässischen Wahlkreisen dem Votum, davon in 6 der 9 oberelsässischen. Allerdings werden die links-autonomistischen Duos Goschescheck/Ohresser und Schmitt/Schild mit harter Konkurrenz seitens der rechten Regionalisten von Alsace d’Abord (Elsaß zuerst) rechnen müssen. Mit einer strikten Haltung in der Ausländerpolitik und den Fragen der Inneren Sicherheit ist diese Partei auch eine große Konkurrenz für den Front National.


 
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