© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Kulturstaat
Kolumne
von Klaus Hornung

Es ist eine geschichtliche Grunderfahrung: ein Kulturstaat setzt eine gesunde staatliche Ordnung, eine lebensvolle Gesellschaft und kulturtragende Minderheiten voraus. Kulturelle Blütezeiten korrelieren zumeist mit aufstrebenden staatlichen und ökonomischen Entwicklungen, in der Epoche des Augusteiischen Prinzipats Roms ebenso wie in den Goldenen Zeitaltern der Spanier, Franzosen und Engländer. In der Literatur des Cervantes und Calderón, in der Malerei des Velázquez spiegelte sich das imperiale Spanien Karls V. und Philipps II.

Shakespeare war nicht denkbar ohne die Blüte des Elisabethanischen Zeitalters. Racine, Corneille, Molière, Descartes, Pascal und die Académie Française waren der kulturelle Ertrag des französischen Königtums von Richelieu bis Ludwig XIV. Nicht anders in der neueren preußisch-deutschen Geschichte. Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große hatten den preußischen Staat begründet, der am Ende des 18. Jahrhunderts zu einem fortschrittlichen Rechtsstaat herangewachsen war. Zwischen der preußischen Reform 1807 bis 1815 und der Blüte der Deutschen Bewegung in Dichtung (vom Sturm und Drang über die Weimarer Klassik bis zur Romantik), Philosophie (von Kant über Fichte bis Hegel und Schelling), in Wissenschaft, Universität und Schulen (Wilhelm von Humboldt und Heinrich Pestalozzi) bestanden enge Wechselbeziehungen. Die Niederwerfung der Hegemonie Napoleons durch eine große europäische Koalition war eine Voraussetzung für nachfolgende kulturelle Blüte, gerade auch in Preußen. Wilhelm von Humboldt prägte den Satz "Deutschland muß frei und stark sein, weil nur eine auch nach außen hin starke Nation den Geist in sich bewahrt, aus dem auch alle Segnungen im Inneren strömen".

Der preußisch-deutsche Kulturstaat entfaltete in den folgenden Jahrzehnten eine Blüte, die sich in architektonischen Zeugnissen von Rang niederschlugen und stets eine Synthese aus Vaterländischem und Europäischem waren. Dieser Kulturstaat gewann Weltgeltung, nicht nur in Literatur, Philosophie, Musik, sondern auch in Naturwissenschaften, Technik und Medizin. Die Universitäten wurden zum Muster akademischen Studien, von den Vereinigten Staaten bis Japan, bis über 1933 hinaus, und noch heute zehrt die deutsche Kulturpolitik von diesem Erbe. Nach der Überwindung des Totalitären Zeitalters kann es sich nicht um die Restauration des Vergangenen handeln, wohl aber um Erneuerung, die sich die Voraussetzungen kultureller Blüte vergegenwärtigt, die zu allen Zeiten gültig sind.

Prof. Dr. Klaus Hornung, lehrte Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim


 
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