© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Schweden: Debatte um konservative Gesellschaftskritik
Standort Stockholm
von Kristof Berking

"Nach dem Fall der Mauer wurden Antirassismus und Antifaschismus zum Ersatz für die gescheiterten Utopien der Linken." Diese Erkenntnis von der "linken Lebenslüge" äußerte kürzlich Per Landin, Kulturredakteur bei Dagens Nyheter (DN), in einer Kolumne dieser größten schwedischen Tageszeitung. Landin, der bis vor einigen Jahren hauptsächlich durch seine Bücher und Artikel über die deutsche Nachkriegsliteratur und deren Rezeption in Schweden bekannt war, löste mit solchen und ähnlichen Überlegungen zu der in Schweden besonders strikt waltenden politischen Korrektheit eine Serie von Artikeln aus, die sich zu einer grundsätzlichen Debatte über den ideologischen Standort Schwedens in der Nachwendezeit auszuweiten scheint.

Die Vorgeschichte: Im Januar vorigen Jahres veröffentlichte Landin in DN drei große Artikel über die sogenannte Neue Rechte im wiedervereinigten Deutschland. Im ersten Artikel – "Abschied vom Materialismus" – berichtete er, welche Strömungen es gibt, stellte die Standpunkte von Heimo Schwilk, Ulrich Schacht und anderen vor und konstatierte, daß man keinesfalls von einer einheitlichen Bewegung sprechen könne. Der folgende Artikel nahm insbesondere die JUNGE FREIHEIT unter die Lupe – distanziert, aber ohne Vorurteil. Der dritte schließlich war Rainer Zitelmanns Buch "Wohin treibt unsere Republik?" und dem Phänomen oder Phantom der 89er-Generation gewidmet.

Anlaß für Landins eingangs zitierte Kolumne war nun ein Artikel in der schwedischen Antifa-Zeitschrift Expo, in dem DN der Vorwurf gemacht wurde, jenem Artikel Landins über die JUNGE FREIHEIT Platz eingeräumt zu haben. In der schwedischen Kulturzeitschrift Ord och Bild fand Landin seinen Namen unter Revanchisten wieder, und das neue Buch "Oberklassennazismus" widmet ihm eine ganze Seite. In DN selbst gab es auf jene Kolumne Landins ("Für Expo verbirgt jedes Jackett ein Braunhemd") eine Replik von Andreas Rosenlund, Redakteur bei Expo. Er fragt, wie Landin nur darauf komme, daß Expo eine linke Zeitschrift sei. Rassismus, Nazismus und Antisemitismus seien so schwerwiegende Gesellschaftspobleme, daß niemand allein damit fertig werden könne. Daher bedürfe es der Zusammenarbeit, der Diskussion und des Austauschs von Erfahrungen. In einem Artikel in Expressen, der großen linksliberalen Boulevardzeitung, fragt Björn Sandmark, auf welcher Seite Landin denn eigentlich stehe. Der Kreis um die JUNGE FREIHEIT und "sogar französische Rechtsextremisten", heißt es dort vieldeutig, teile natürlich Landins Interesse für radikalkonservative Quellentexte. Eine Ehrenrettung erfuhr Landin hingegen in der gewerkschaftseigenen großen Tageszeitung Arbetaren durch den bekannten sozialdemokratischen Kolumnisten Dieter Strand.

Landin diagnostiziert in seinen Artikeln ein geistiges Vakuum und Orientierungslosigkeit in Schweden: "Als das Gleichg ewicht des Schreckens aufhörte, kam das Rechts-Links-Schema ins Wanken und die politische Kompaßnadel tanzte im Kreis herum wie in einer Gegend jenseits aller Pole." Als Beipiele nennt er die 180-Grad-Wendung der Sozialdemokraten in der EU-Frage und den populistischen Nationalismus der "Vänster"-Partei, einer linksextremen Partei, vergleichbar der PDS. Einen sensiblen Nerv trifft Landin, wenn er sagt, man könne den Nazismus und den Faschismus verdammen, ohne deshalb auch gleich den Gedanken des Volksheims – ein Schlüsselbegriff der schwedischen Sozialdemokratie – zu verdammen. Es sei im heutigen Schweden schwer, nuanciert diese Dinge zu betrachten. "Ich wünschte mir, wir wachten eines Tages auf aus dem Gedankennebel der Nachkriegszeit."

Mitverursacht hat diese Unklarheit der Begriffe ein 1945 in Schweden einsetzender Antifaschismus, wie es ihn in dieser Heftigkeit nirgends in der westlichen Welt gegeben hat, was wiederum durch ein schlechtes Gewissen zu erklären sein dürfte. Denn Schweden war im Gegensatz zu seiner offiziellen Neutralitätspolitik durchaus offen gewesen für das nationalsozialistische Deutschland – bis sich das Kriegsglück zugunsten der Alliierten wendete. Landin hat erkannt, daß sich Schweden heute, nach dem Fall des eisernen Vorhangs, praktisch wieder in der gleichen geopolitischen Situation befindet, wie vor dem Krieg, und er setzt sich bei der neuerdings auch Schweden abverlangten "Vergangenheitsbewältigung" für eine differenzierte und entkrampfte Diskussion über die politische und kulturelle Verortung seines Landes – damals und heute – ein.

Unterstützung findet er unter anderem von Pierre Kullbom, der in seinen Artikeln im Svenska Dagbladet, der großen konservativen Tageszeitung, insbesondere die extreme Amerikanisierung Schwedens seit 1945 kritisiert. Eine Kolumne, in der Kullbom Per Landin gegen die "guilt-by-association-Methode" (Diffamierung durch Andeutungen) verteidigt, wurde übrigens vom linksliberalen Expressen abgelehnt; Expressen ist offenbar jener "antifaschistischen Mainstreambewegung", dessen Aufschrei der erste staatliche Rundfunksender im Zusammenhang mit der Kritik an Landin konstatierte, noch ganz verschrieben. Um so erstaunlicher, daß ausgerechnet die eher linken DN der Debatte um Wertkonservatismus Platz einräumen. Oder liegt es vielleicht in der Natur der Sache, daß sich am Ende des 20. Jahrhunderts unter den Bedingungen der Globalisierung gerade diejenigen für den Gedanken nationaler Gemeinschaft interessieren, die den imperialistischen Nationalismus vom Anfang des Jahrhunderts stets anklagen? Hat sich nicht auch der Spiegel in letzter Zeit immer öfter des nationalen Themas angenommen und sich damit – in bester linker Tradition – gegen ein herrschendes Dogma hinweggesetzt?

Per Landin, Jahrgang 1956, ist zwar kein Alt-68er, aber er war sicher auch nie ein Rechter. Sein Deutschlandbild zum Beispiel wurde mehr durch Aufenthalte in der DDR als in der BRD geprägt. Daß er sich seit einigen Jahren für nationales Gedankengut interessiert – zur Zeit schreibt er an einem Buch über "Heimat", was der Begriff für die Deutschen und was er für ihn selbst bedeute –, ist gewiß kein schwedischer Ethnozentrismus, sondern eher Ausdruck einer Suche nach Werten in dem Wertevakuum, das der Zusammenbruch der bipolaren Welt hinterlassen hat.

Wenn nun Landins Kritiker aufgeregt fragen, "Wo hat er das bloß her, auf welcher Seite steht er nun eigentlich?", dann kommen sie offenbar nicht auf die nächstliegende Antwort: Landin hat einfach nachgedacht und über den Tellerrand geschaut. Was lag zum Beispiel näher für einen schwedischen Kulturredakteur mit besonderen Deutschlandkenntnissen, als eine Reportage zu schreiben über das nach Jahrzehnten der hermetischen Abriegelung wieder zugängliche Königsberg, den Kaliningradskaja Oblast? Für den Artikel, der unter dem Titel "Unterm Pflaster die Stadt – Spurensuche in dunklem Land: Besuch in Königsberg" auch in der FAZ erschien, erhielt Landin übrigens 1995, als erster Ausländer, den Medienpreis der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat verliehen.


 
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