© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Roosevelts Bibliothek: Allzumenschliches zwischen Geheimpapieren
Kurioses aus den Archiven
von Alfred Schickel

Man weiß nicht, worüber man sich mehr wundern soll: über die trivialen Späße bekannter Geschichtsgrößen oder über den Sammlerfleiß der Archivare. Da stößt der Geschichtsforscher bei seinen Recherchen in den Staatsarchiven immer wieder auf archivalische Hinterlassenschaften, die er eher in den präsidentiellen Papierkorb geworfen oder im Kaminfeuer verbrannt vermutet hätte. Etwa die Vorderansicht eines wohlproportionierten nackten weiblichen Torsos, der an einen Tizian-Akt oder die Formen der Venus von Milo erinnert, aber dem Betrachter noch das vollständige Modell vorenthält, auf das die Handschrift aus "allerhöchster Feder" doppeldeutig neugierig macht, um den solchermaßen "Aufgeladenen" dann abrupt auf der folgenden Seite mit der Zeichnung eines Hundekopfes als "Dirty Dog" bloßzustellen. Ein offensichtliches "männliches" Amüsierspiel im Weißen Haus, von wo die "optischen Zeugnisse" dann in die F.D. Roosevelt-Library in Hyde Park (US-Bundesstaat New York) gekommen und heute dort zu besichtigen sind.

Gar nicht so weit weg von einer gleichermaßen sorgfältig aufbewahrten Einladung des "German Ambassador" an Präsident Roosevelt "At a Bockbierabend on Saturday, April 17th, at 9 O’Clock" in der "German Embassy". Wie in den "Persönlichen Präsidenten-Papieren" Franklin Roosevelts festzustellen war, hat der amerikanische Staatschef diese Einladung ebensowenig wahrgenommen wie jene zur "German-Day-Celebration" am 16. September 1934 im Stadion von Chicago. Wohl nicht aus Geringschätzung der deutsch-amerikanischen Veranstalter, sondern eher aus Zeitgründen und der nicht ganz geglückten Einladungsform; wirkte doch der unpersönliche Hinweis auf die Notwendigkeit einer Logen-Reservierung für 100 Dollar nicht sonderlich gastfreundlich. Andere landsmannschaftliche Gruppen zeigten sich in dieser Beziehung gewandter und redeten das amerikanische Staatsoberhaupt nicht ungeschliffen-hölzern an mit "Hon. Franklin D. Roosevelt", wie das der gutmeinende deutsch-amerikanische Festspielleiter in seinem Brief an den Präsidenten tat. Da machte der Aussiger Philatelist Felix Kornfeld dem Hobby-Sammler Roosevelt mit einem Satz Briefmarken aus der Tschechoslowakei schon mehr Freude und verdiente sich ein unvergeßliches Dankeschön aus dem Weißen Haus.

Mit dem Aufstieg Adolf Hitlers und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mehren sich die Zeugnisse antinazistischer und antideutscher Archiv-Raritäten. Sie reichen von chaplinhaften Verulkungen des deutschen Führers über ironische Vergleiche des braunen Diktators mit Kaiser Wilhelm II. ("S.M. Adolf; ich führe euch herrlichen Pleiten entgegen!") bis zu archivierten Postkarten engagierter amerikanischer Bürger gegen den NS-Chef. Unter ihnen stellt das fingierte Testament Hitlers ein besonderes Kabinettstückchen dar. In ihm vermacht er beispielsweise seinem "Führer"-Kollegen Mussolini seinen "Chaplin-Schnurrbart", damit er ihn als Toupet auf seine Glatze setzen kann oder bedenkt Winston Churchill für seine Zigarren mit einer Schachtel Streichhölzer, da er selbst diese auf dem Gang in die Hölle nicht mehr benötige. Die Zeit vor seiner Höllenfahrt sollte Hitler nach den Vorstellungen eines "praktisch" denkenden US-Bürgers als Ausstellungsobjekt in einem Käfig verbringen und der Welt als größte Mißgeburt gezeigt werden. Das dabei eingenommene Eintrittsgeld wünschte sich der in Chattanooga/Tennessee wohnende Bürger als Beitrag zu den Ausstellungskosten und Kriegsausgaben und regte an, General Patton zu diesem Zwecke anzuweisen, Hitler lebend gefangen zu nehmen.

Ob der sich freilich bei Kriegsende auch lebend in die Hände der Gegner geben würde, bezweifelte der angesehene Harvard-Psychologe Henry A. Murray in seiner "Analyse der Persönlichkeit Adolf Hitlers" vom Oktober 1943, die sich gleichfalls in der Roosevelt-Library in Hyde Park befindet. Als viel wahrscheinlicher erwartete er den Freitod des deutschen Diktators als angemessenes Ende eines "zum Stande des Halbgottes" aufgestiegenen Mannes als den entzaubernden Gang in ein Kriegsverbrecher-Gefängnis. Eine Einschätzung, die nicht nur durch die Wirklichkeit am 30. April 1945 im Führerbunker bestätigt wurde, sondern auch von Hitler selbst freimütig zugegeben worden ist. Führte er doch in seinem privaten Testament vom 29. April 1945, 4.00 Uhr als Grund für seinen nachfolgenden Selbstmord an, "um der Schande des Absetzens oder der Kapitulation zu entgehen". Auch dieses Papier fand sich im übrigen in den Händen der Amerikaner und wurde am 19. März 1946 von Kriegsminister Patterson zu Präsident Truman ins Weiße Haus geschickt, nachdem es vorher vom FBI auf seine Echtheit untersucht worden war. Während diese Archivalien nach Meinung des US-Kriegsministers sogar in der Washingtoner "Library of Congress" ausgestellt werden sollten, verblieben "Hitlerianas" wie "Adolf Hitler’s Horoscope" mit beigefügter Sternenkonstellation in den "Folders" der Präsidentenarchive verborgen. Immerhin standen in Hitlers im Februar 1939 erstelltem Horoskop aber Sätze wie: "Planetenaspekte zeigten den Aufstieg von Adolf Hitler an; sie signalisieren jetzt seinen Fall. Deutschlands Diktator steht in Kürze ein genau so schneller Rutsch in die Dunkelheit bevor wie sein raketengleicher Aufstieg zum Ruhm war" und fand sich in ihm die Prophezeiung, daß er (Hitler) 1940 "den Höhepunkt seiner Macht erreicht". Prognosen, die bekanntlich eintrafen, aber für Roosevelt verständlicherweise kein verläßlicher politischer Leitfaden sein konnten.

Da erschien ihm die plakative Darstellung Hitlers als "Europe’s Madman" schon realistischer. Sie ist auch im Hyde Parker Präsidenten-Archiv konserviert und zieht den Betrachter in ihrem furchterregenden Ausdruck bis heute in den Bann.

Fast verständlich, daß man sich damals im Weißen Haus zur Erholung dann auch gelegentlich so ein anzügliches Bild-Spielchen leistete wie mit dem weiblichen Torso bzw. Hundekopf. Denn Roosevelt und seine Minister waren auch nur Menschen.


 
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