© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Kirchenrecht: Konservative Pfarrer werden aus den Gemeinden gemobbt
"Unzureichende Kompetenz"
von Klaus Simon

Von der Öffentlichkeit so gut wie unbemerkt vollzieht sich in der evangelischen Kirche seit etwa zwei Jahren eine Entwicklung, die auf Gleichschaltung der Pfarrer und kirchlichen Mitarbeiter nach Maßgabe der Political correctness hinausläuft. Sie dürfte Modellcharakter für andere gesellschaftliche Bereiche haben und sollte deshalb aufmerksam beobachtet werden.

Die ebenso einfache wie rechtlich kaum anfechtbare Methode dieser Gleichschaltung läßt sich aus einer – im Grundgedanken durchaus verständlichen – Bestimmung des Pfarrerdienstrechtes ableiten, in der die Abberufung eines Pfarrers aus einer Gemeinde möglich ist, "wenn eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit" mit der Gemeinde oder den anderen kirchlichen Mitarbeitern nicht mehr möglich sein sollte. Derartige Fälle hat es zu allen Zeiten gegeben und selbstverständlich hat diese Bestimmung für diese Ausnahmefälle durchaus ihren Sinn. Mit der Versetzung des Pfarrers in eine andere Gemeinde oder in einen anderen der vielen Arbeitsbereiche der Kirche war das Problem in der Regel schnell gelöst. Insofern bedeutete diese Lösung keine disziplinarische Maßnahme, wie dies etwa bei Verstößen gegen die Lehre oder gegen den "Wandel" der Fall ist.

Inzwischen haben die Systemveränderer in der evangelischen Kirche in dieser Ausnahmeregelung den geeigneten Ansatzpunkt zur Durchsetzung ihrer kirchenpolitisch-theologischen Absichten entdeckt. Das "gedeihliche Zusammenwirken" von Pfarrer und Gemeinde kann sehr schnell durch einige Gemeindekreise in Frage gestellt werden, etwa wenn diese sich für alle möglichen Änderungen in der Kirche einsetzen, beispielsweise für Segnungen gleichgeschlechtlicher Lebensformen, alternative Gottesdienstformen, progressiven Konfirmandenunterricht, Sitzblockaden vor Kasernen oder Atomkraftwerken, oder beim sogenannten Kirchenasyl.

Auf diese Weise wird in manchen Gemeinden systematisch ein Meinungsklima erzeugt, das sich vor allem (nicht nur!) gegen konservative Pfarrer und Mitarbeiter richtet. Ihnen wird dann, unabhängig vom konkreten Anlaß, "unzureichende kommunikative Kompetenz" testiert, wenn sie nach Dutzenden von Gemeindeversammlungen, Dienstgesprächen, Hearings, Offenen Briefen noch immer darauf bestehen, daß diese oder jene Forderung eines bestimmten Arbeitskreises mit Schrift und Bekenntnis und mit den Lebensordnungen nicht vereinbar seien, geschweige denn mit dem Grundgesetz.

Die totale Verdrehung des ursprünglichen Grundgedankens des "gedeihlichen Zusammenwirkens" wird vollends deutlich an der Tatsache, daß es heute kaum noch Versetzungen in einen anderen Arbeitsbereich mehr gibt, sondern die Entlassung aus dem Dienst der Kirche offensichtlich zur Regel wird. Folge ist ein Klima der Anpassung und völligen Konformität.

Diese Praxis existiert bislang vornehmlich in der rheinischen Landeskirche, aber auch bereits in der hessen-nassauischen und württembergischen Landeskirche. Sie betrifft bisher über 100 Pfarrer, die Dunkelziffer nicht eingeschlossen. Diese Pfarrer – und dies ist das eigentlich Skandalöse – werden nicht nur ihres beruflichen Wirkungsfeldes und ihrer Rechte als Pfarrer, sondern auch ihrer gesamten materiellen Existenz beraubt. Ohne Altersvorsorge stehen sie häufig vor dem Nichts. Oft werden sie Fälle für die Sozialhilfe.

Die Kirchenleitungen bestreiten diesen Sachverhalt selbstverständlich nach wie vor. Wassollen sie auch tun? Wenn überhaupt, werden die Vorkommnisse stets zu "Einzelfällen" bagatellisiert. Dieser für die Kirche immer bedrohlicher werdenden Entwicklung hat sich inzwischen die "Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland" und die Bekenntnisbewegung "Kein anderes Evangelium" angenommen, die in diesen Tagen die umfangreiche Dokumentation "Mobbing in der Kirche herausgegeben und damit der der kirchenamtlichen Verharmlosung der Vorkommnisse widersprochen hat.

Die Dokumentation "Mobbing in der Kirche" ist als idea-Dokumentation Nr. 9/1997 erschienen und umfaßt 133 Seiten. Sie kann für DM 14,50 bei "idea", Postfach 1820, 33528 Wetzlar bezogen werden.


 
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