© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
Münster: Die Westfälische Wilhelms-Universität bewältigt ihren Namen
Meinhof statt Wilhelm II
von Ilse Meuter

Die sogenannte Vergangenheitsbewältigung ist nach der Wende von 1989 nicht etwa zurückgefahren worden, im Gegenteil: alles weist darauf hin, daß dieses ins Ideologische übertriebene Anliegen zur Leitdoktrin des Gemeinwesens erhoben wurde. Und das unter Kohl und Kinkel. Wahrhaftig eine Konservative Revolution.

Exekutor dessen ist ein Sinnstiftungs- bzw. Unterhaltungskomplex, den Marcuse und Adorno mit Blick auf die USA "Kulturindustrie" nannten. Unter bundesdeutschen Bedingungen muß sogar von einer Bewältigungsindustrie gesprochen werden; in einer Art Kolonialisierung der Deutungswelt haben ihre Teilnehmer von Herzog bis zum kleinsten Dorfkaplan alles fest im Griff. Die feilste Spezies, die Intellektuellen, vordem die "Arbeiter der Stirn", tut sich diesbezüglich besonders hervor. Auch in Westfalen, wo dunnemals eine Universität instituiert worden war. "Als Kriegshetzer und Antisemit ist Wilhelm II. ein denkbar schlechter Patron einer Uni", posaunt seit ein paar Monaten zum Beispiel der dortige Vorsitzende des Allgemeinen Studenten-Ausschusses (AStA), Rudi Mewes, und wer wollte daran zweifeln, daß auch hierin zwischen Jugend- und Erwachsenenwelt postmoderner Gleichschritt herrscht. Eine vom Senat der "Westfälischen Wilhelms-Universität" eingesetzte Kommission prüft derzeit streng akademisch den Namensänderungsbedarf; in Kürze soll entschieden werden.

"Unser Abschlußbericht spiegelt eine Dissens- und Patt-Situation wider", so der Historiker und Kommissionschef Hans-Ulrich Thamer, "denn die Mitglieder konnten sich bislang nicht einigen." Unbestritten aber sei, "daß die Universität nach Kaiser Wilhelm II. und nicht nach dessen Opa Wilhelm I. benannt" wurde; ersterem, dem letzten deutschen Kaiser, seien antisemitische und chauvinistische Äußerungen nachzuweisen. "Zwar war er kein Massenmörder, aber das Kaiserreich mag eine Art Mini-Ausgabe der NS-Zeit gewesen sein." Viertsemester Mewes gibt Gas: "Eine historische Kontinuität mit dem Namen eines Verbrechers können wir nicht akzeptieren!"

Seit Jahren schon kursieren in den Hörsälen skurrilste Vorschläge: die Alma mater solle künftig nach der Terroristin Ulrike Meinhof heißen, weil die in den 50er Jahren "hier studierte". Die Nennung der vor 200 Jahren zufällig "hier" geborenen Dichterin Droste-Hülshoff mag als späte Rache des ’Zentrum’ am vormaligen Summepiscopus der preußischen Landeskirche erscheinen. Im 1944 von alliierten Bomben in Schutt und Asche gelegten historischen Rathaus diktierte Frankreich 1646ff. seinen "Westfälischen Frieden", eine Art antideutsches Ur-Versailles: für Bundesdeutsche Grund genug, 1997 eine "Friedens-Universität" zu promoten

Die mit 44.000 Studenten drittgrößte Uni wurde 1780 auf Betreiben des Generalvikars Wilhelm(!) von Fürstenberg ohne eigenen Namen begründet; mit der preußischen Liberalität kam dann 1815 ihr frühes Ende. Erst 1902 erfolgte die Neubegründung durch den heuer inkriminierten Monarchen, dem das Ressentiment von Epigonen sein Verdienst nun übel lohnt. Zumal die damalige Namensgebung, an etlichen Antifa-Handstreichen (Heinrich-Heine-Uni, Carl-von-Ossietzky-Uni, Karl-Marx-Uni etc.) gemessen, nachgerade volksdemokratisch anmutet, erbaten doch Universität, Stadtverwaltung und Bürgerschaft unisono das allerhöchste Namenspatronat. Als freilich die "richtige" Demokratie auf alliierten Panzern Einzug hielt, mußte der Name erstmals weichen. Dabei stand er für eine Dynastie, in der Friedrich der Große – als erster Souverän Europas – die Vereinigten Staaten Washingtons anerkannte, nachdem er ihm zuvor seinen Adjutanten, Oberst von Steuben, als Militärberater zur Verfügung gestellt hatte; gleichwohl hatte es von 1945 bis 1952, par ordre du mufti, "Westfälische Landesuniversität" zu heißen. Unterdessen sind die Deutschen ihre eigenen Besatzer geworden; Münster ist nicht die erste Gelehrtenrepublik, die sich mit vergangenheitsneurotischen Namensquerellen abgibt; neben den genannten Possen in Düsseldorf, Oldenburg, Bremen und Hamburg dürften künftig wissenschaftsbezogene Personen vom Kaliber der Heinrich Böll, Lea Rosh, Willy Brandt, Petra Kelly und Gustav Heinemann als Patrone gefragt sein. Das westfälische Fallbeispiel gewinnt Prägnanz als Parallele zur autokratischen SED-Praxis; was die DDR-Obrigkeit unter anderen den Universitäten zu Berlin und Leipzig antat, geschieht nun in Münster "von unten". Auch "im Westen" geht es nicht um Neu-, sondern Umbenennung einer traditionsreichen Institution gemäß "antifaschistischer" Ausgrenzungs-Ideologie.

Der Senatsauschuß will den Schilda-Streit am Aasee baldmöglichst beenden; fällt, wie abzusehen, akademischer Zeitgeist sein Jakobiner-Urteil, müßte eine etwaige Ulrike-Meinhof-Universität vom Land, näherhin von SPD-Ministerpräsident Rau und Wissenschaftsministerin Höhn von den Grünen, genehmigt werden. Hans-Ulrich Thamer drückt aufs Tempo: "Die Universität hat noch wichtigeres zu tun, als sich um einen besseren Namen zu streiten."

Seit der gewaltsamen Beendigung der Politposse Knipperdollings im Jahre 1534 hängen am Turm von St. Lamberti "zur Mahnung für alle Zeiten" drei eiserne Exekutionskäfige: Warum nicht auch hier eine der in Mode gekommenen posthumen Entschuldigungen? Wie wär’s mit "Westfälische Wiedertäufer-Wiedergutmachungs-Hochschule"?


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen