© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Politische Wende: Alternativen jenseits des Establishments
Hoffnung auf Wechsel
von Dieter Stein

Eine fiebrige Stimmung hat Deutschland erfaßt. Zumindest die Bürger, die mit dem Kurs der Regierung und der "politischen Klasse" nicht einverstanden sind. Immer neue Zirkel entstehen, Vereinigungen, Gesprächskreise – es ist ständig von neuen Parteigründungen die Rede. Angesichts des kommenden Jahrtausendwechsels und der anstehenden Herausforderungen können es immer weniger glauben, daß es 1998 bei einem "weiter so" bleiben soll.

Nirgendwo ist das bürgerliche Lager so genügsam wie in Deutschland. Insbesondere der sogenannte Mittelstand, die Selbständigen gaben sich stets als willige Vollstrecker einer letztlich schlechteren sozialdemokratischen Politik Helmut Kohls her. Doch nun gerät das unternehmerische Lager in Bewegung. Jüngstes Beispiel: Unter Regie des nordrhein-westfälischen Landesverbandes des "Bundes der Selbständigen" (BDS) formierte sich in München eine Plattform "Stimme der Mehrheit". An ihr beteiligen sich auch namhafte Konservative und Rechtsintellektuelle wie Klaus Hornung, Herbert Fleissner, Heiner Kappel, Hans-Helmut Knütter, Erwin K. Scheuch und Karlheinz Weißmann. Mit der "Stimme der Mehrheit" hat die politische Sezession klassischer CDU-Klientel nun auch das unternehmerische Lager erfaßt. Von der Politik enttäuschte Vertriebene wollen am 21. Juni in Zittau die Partei PHE – "Partei der Heimatvertriebenen und Entrechteten" gründen. Einer der Hauptredner wird der stellvertretende BdV-Präsident Latussek sein. Der Name PHE lehnt sich an die in den fünfziger Jahre erfolgreiche Vertriebenen-Partei BHE.

Auf einem Kongreß im hessischen Borken trafen sich am vergangenen Wochenende 400 Mitglieder und Interessenten der ARE (Arbeitsgemeinschaft Recht und Eigentum. Haupt-Kritik-Punkt: Bonn bereichere sich schamlos an dem Eigentum der zwischen 1945 und 1949 in Mitteldeutschland enteigneten. In der Frankfurter Allgemeinen und Welt am Sonntag, inseriert der CDU-Rebell Heiko Peters mit großen Anzeigen und protestiert gegen diese Politik.

Laut Meinungsumfragen stramm auf die fünf Prozent marschieren die rechten Republikaner zu, die in Baden-Württemberg durch eine respektable Fraktion (9,1 Prozent) repräsentiert sind. Dahinter tritt als zweitstärkste politische Kraft rechts neben der Union der nationalliberale "Bund Freier Bürger" Manfred Brunners hervor. In Bayern setzen sich die Freien Wähler von der CSU ab und wollen landesweit zur Bayernwahl 1998 antreten, was Stoiber die absolute Mehrheit kosten kann.

Der Unwille und die politische Unruhe ist da. Sie verlangt nach organisatorischen Plattformen. Parteien sind dabei nur eine Form. Ein neuer Ansatz ist die basisdemokratische Initiative des Friedensforschers Alfred Mechtersheimer, der unter dem Titel "Deutschlandbewegung" Kontakt zwischen Einzelinitiativen und Einzelpersonen herstellt.

Doch was fehlt? Wer durchbricht die atomisierte Szenerie, in der es dutzende landsmannschaftliche Treffen, hunderte konservative Zirkel, tausende von Jugendgruppen und Studentenverbindungen gibt, sowie viele Verlage, Zeitschriften, Zeitungen? Wer stellt Öffentlichkeit her, wenn einige immer noch in Hinterzimmern "sammeln" wollen? Es ist Gründerzeit in Deutschland ...


 
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