© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Papstreise nach Polen: Eine Gesellschaft im Umbruch sucht nach neuen Orientierungen
Katholizismus in der Krise
von Hedla Heinka

Breslau hat sich herausgeputzt. Die Häuser am Ring sind rechtzeitig renoviert, die Kirchen festlich hergerichtet. Überall in der Stadt dekorieren gelbe und weiße Fahnen die Straßen, und Plakate mit dem Konterfei des Papstes künden in den Schaufenstern der Geschäfte an der Schweidnitzer Straße vom großen Ereignis, das bevorsteht: An diesem Samstag nachmittag beginnt Papst Johannes Paul II. seine fünfte Pastoralreise in die Heimat, die zugleich seine längste sein wird.

Von Breslau aus, wo am 25. Mai der 46. Internationale eucharistische Kongreß eröffnet wurde, wird er in den kommenden zwei Wochen neun Städte besuchen. Als wichtigste Station dürfte dabei Gnesen gelten, wo der Papst am 3. Juni zu Ehren des heiligen Adalbertus einen Gottesdienst im Freien halten wird, zu dem neben 125.000 Gläubigen und dem polnischen Präsidenten Kwasniewski auch die Staatspräsidenten aus Ungarn, Litauen, Deutschland und der Slowakei anreisen werden.

Den Papst erwartet ein im Umbruch befindliches Land. Dies betrifft nicht nur die wirtschaftlichen Veränderungen, die manchem Polen zu Vermögen und Ansehen verholfen haben und vielen anderen Armut brachten; und es meint auch nicht vorrangig die politischen Umwälzungen, die am letzten Sonntag mit der mehrheitlichen Zustimmung zur neuen Verfassung besiegelt wurden. Das Polen, das Karol Wojtyla nun zu sehen bekommt, ist ein Land, dessen Gesellschaft inmitten einer krisenhaften Umbruchssituation steckt. Die heutige Jugend, die in einem freien und pluralistischen Staat aufwächst, ist auf ihrer Suche nach Idealen und nach Unabhängigkeit von der Elterngeneration orientierungslos geworden. Die Kriminalitätsrate ist in den zurückliegenden drei Jahren gerade bei jungen Polen deutlich gestiegen; wachsender Drogenkonsum und die hohe Gewaltbereitschaft in Schulen und Fußballstadien beherrschten zuletzt als Themen die Titelseiten der großen Wochenzeitungen.

Die Politik kümmere sich zu wenig um die Probleme der nachwachsenden Generation, lautet ein gängiger Vorwurf. Es werde zu wenig Geld zur Verfügung gestellt, um ihre Beschäftigung sicherzustellen und die Jugendlichen damit "von der Straße" zu holen. Der andere wichtige Kritikpunkt zielt auf die Kirche, die offensichtlich nicht die Sprache der "Jugend von heute" spreche und diese, so heißt es, mehr kritisieren als verstehen wolle. Von den Bischöfen werde den Jungen "Verwestlichung" vorgeworfen, und Eltern warnten vor einem Beitritt Polens zur Europäischen Union, die "von Gesellschaften mit religiöser Gleichgültigkeit geprägt" sei.

Während die katholische Kirche sich immer noch in einem Kampf gegen die "Ungläubigen" an der Regierung sieht, wendet sich die Gesellschaft, der Autoritäten und dem Zwanghaften überdrüssig, zusehends desorientiert und verständnislos von ihr ab. "Für mich", kritisierte kürzlich der Schriftsteller Andrzej Szczypiorski öffentlich, "ist die Kirche zu polnisch". Der Klerus, einst nationales Bollwerk gegen Unterdrückung und Diktatur (und in dieser Funktion gefällt man sich noch immer am besten), tut sich schwer mit der Gewöhnung an eine pluralistische, "verweltlichte" Gesellschaft, die nun auch damit begonnen hat, die Sonntagsmesse nicht mehr als Pflichtübung zu verstehen.

Auch wenn die Autorität des Papstes nach wie vor ungebrochen scheint, sinkt die Popularität des Katholizismus im Lande stetig, und dies vor allem bei der jungen Generation. Zwar sind neunzig Prozent der Polen getaufte Katholiken, doch nur jeder zweite, sagen die Demoskopen, fühlt sich der Kirche wirklich verbunden. In den Gymnasien entscheidet sich heute die Hälfte der Schüler dafür, am freiwilligen Religionsunterricht nicht mehr teilzunehmen. Der Sekretär der polnischen Bischofskonferenz, Tadeusz Pieronek, einer der wenigen Oberhirten, der das Ausmaß des gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbruchs erkannt hat und dieses auch offen anspricht, hat bereits vor zwei Jahren alles auf den wunden Punkt gebracht: "Das Hauptproblem der Kirche ist die Kirche selbst."

"Jesus Christus – gestern, heute, morgen", so lautet das Motto der Pastoralreise. Es soll Hoffnung signalisieren in einer Zeit, in der sich die Menschen – nicht nur in Polen – erst noch zurechtfinden müssen. Der Klerus hofft, mit der Visite einen Stimmungswandel hin zu einer erneuten umfassenden engeren Bindung des Volkes an die katholische Kirche einleiten zu können. Doch Tatsache ist, – man mag es bedauern oder nicht –, daß laut einer Umfrage aus der vergangenen Woche derzeit 80 Prozent der Polen "gegen eine aktive Rolle der Kirche in Staat und Gesellschaft" sind.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen