© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Siebenbürgen: Zur schwierigen Lage der evangelisch-lutherischen Kirche
Religiöse Nachlaßverwaltung
von Gertraud Schuller

Die Ausgangslage zur Erinnerung: Nach der "Revolution" und dem Machtwechsel in Rumänien zur Jahreswende 1989/90 und der darauf erfolgten Öffnung der Grenzen verließen an die 150.000 Deutsche in wenigen Monaten ihre jahrhundertealte Heimat und übersiedelten in den "Goldenen Westen", der so golden auch wieder nicht ist. Diese Erkenntnis kam aber für die meisten zu spät.

Es blieb nicht aus, daß von den über hundert Pfarrstellen in Kürze über die Hälfte verwaist waren, weil u. a. auch die einst so tüchtigen Pfarrersfrauen nicht mehr die Kraft hatten, dem Ausreisedruck zu widerstehen. "Der Kinder wegen", hieß es in den meisten Fällen als Begründung für die Aufgabe der Heimat. So ruhte nun die Last der seelsorgerischen Betreuung der Verbliebenen auf den Schultern einiger weniger. Pfarrer, die schon in Rente waren, übernahmen wieder Aufgaben, junge Theologiestudenten starteten mit neuer Kraft, und Seelsorger aus den deutschen Brudergemeinden stellten sich auf Zeit zur Verfügung.

Trotzdem sind die in den "Landeskirchlichen Informationen" erscheinenden Berichte erschütternd. Einige Zahlen aus den Kirchenbezirken Kronstadt, Mühlbach, Hermannstadt und Schäßburg sollen dies unterstreichen.

Zum Bezirk Hermannstadt, gleichzeitig Bischofssitz, zählen 53 Gemeinden. Waren es 1989 noch 32.000 Seelen, die in der evangelisch-lutherischen Kirche registriert waren, so sind es Ende 1995 nur mehr 4.700, davon allein in der Stadt Hermannstadt über 2.000. Heltau mit 474, Agnetheln mit 207 und Neppendorf mit 200 Seelen folgen, um die hundert haben Michelsberg, Kerz und Talmesch – alles Namen, die Siebenbürgenfahrern wohl vertraut sind. Heute liegen diese Zahlen sogar noch etwas niedriger, wenngleich die Übersiedlung von Rumäniendeutschen in die Bundesrepublik Deutschland mittlerweile fast versiegt ist: Im letzten Jahr waren es nur mehr 4.284, was einer Quote von 2,4 Prozent an der Gesamtzahl von 168.758 Aussiedlern entspricht.

Ähnlich traurig wie im Bezirk Hermannstadt sieht es im Bezirk Kronstadt aus: Von 1991 – also nach dem ersten großen Exodus – rund 10.500 Gemeindemitgliedern blieben 1995 noch 6.600 in 12 Städten und 36 Landgemeinden übrig. Davon haben 10 Gemeinden nur zwischen 1 und 20 Seelen. Die Altersstruktur ist da wie dort die gleiche: mehr als die Hälfte über 50 Jahre alt, nur 7 Prozent zwischen 15 und 25 Jahren. Die ethnische Zusammensetzung ergibt am Beispiel Burzenland 62 Prozent rein sächsisch-deutsche Gemeindemitglieder, 25 Prozent aus gemischten Ehen (mit Ungarn, Rumänen und Zigeunern), 10 Prozent Ungarn, 3 Prozent Rumänen. Die einst rein deutsche Kirche kann also nur durch andere ethnische Gruppierungen überleben.

Der Bezirk Mühlbach erstreckt sich über zehn politische Kreise: nach rumänischer Schreibart Sibiu, Alba, Cluj, Satu Mare, Hunedoara, Arad, Caras-Severin, Timis u. a. Der Schäßburger Bezirk reicht 300 Kilometer nach Norden bis an die ukrainische Grenze und mißt an seiner breitesten Stelle 150 Kilometer. Er zählte 1995 nur mehr ganze 3.000 Seelen in 68 Gemeinden.

Die gewaltige Ausdehnung dieser Kirchenbezirke verdeutlicht, wie schwierig die Betreuung der Gemeindemitglieder ist. Oft müssen jede Woche Hunderte Kilometer auf schlechtesten Straßen zurückgelegt werden. Mindestens einmal im Monat, womöglich haufiger, sollte ein geistlicher Seelsorger, Pfarrer oder Vikar, eine Gemeinde besuchen, und sei sie noch so klein. Bei Beerdigungen müssen auch schon orthodoxe Nachbarn mithelfen.

Schwierig, aber sehr wichtig ist die Erhaltung des Kirchengutes, besonders dort, wo das Pfarrhaus nicht mehr bewohnt ist. Bewegliche Güter wurden in Archive in die Städte gebracht, Glocken an andere Kirchen verkauft, oft gegen den massiven, verständlichen Widerstand der letzten sächsischen Bewohner eines Dorfes. Ja, ganze Kirchen erhielten andersgläubige Eigentümer. Pfarrhäuser wurden zu Jugendherbergen und Gästehäusern umfunktioniert. Es geht dabei in erster Linie um die Erhaltung der Bausubstanz, zu der erfreulicherweise auch die Heimatortsgemeinschaften in Deutschland viel beitragen. Immerhin funktioniert der Religionsunterricht noch fast überall und wird auch gern von orthodoxen Kindern angenommen. Alles in allem bietet sich dennoch ein sehr trauriges Bild, trotz der Zähigkeit, mit der einige Daheimgebliebene das bestmögliche zu erreichen versuchen.

Dieser Beitrag ist den "Mitteilungen des Allgeimenen Deutschen Kulturverbandes" 3/97 entnommen. Der ADKV leistet in Siebenbürgen umfangreiche Hilfstätigkeit (Allgemeiner Deutscher Kulturverband, Fuhrmannsgasse 18 a, A-1080 Wien).


 
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