© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Gefangene des Sydikats
Kommentar
von Johanna Christina Grund

1.226.551 Stimmbürger, die sich in die Listen des Gentechnik-Volksbegehrens eintrugen, sollten eigentlich eine so geballte Macht des Souveräns im Staate Österreich darstellen, daß Parlamentarier und Regierung dem hier bekundeten Willen Rechnung tragen: Kein Essen aus dem Gen-Labor, Verbot der Produktion und des Verkaufs gentechnisch veränderter Lebensmittel, keine Freisetzung solcher Lebensmittel und kein Patent auf Leben!

Es ist müßig, hier erneut über Vor- oder Nachteile solcher Manipulation zu richten. Das hat die JUNGE FREIHEIT in dieser Kommentar-Kolumne schon wiederholt getan (siehe Nr. 31/96, 26. Juli 1996 "Kukuruz vom Zauberlehrling", Nr. 51/96, 13. Dezember 1996 "Friß, Bürger, und Stirb"!, Nr. 17/97, 18. April 1997 "Gen-Ethik").

Nachdem nunmehr sechs Wochen seit dem Volksbegehren vergangen sind, geht es heute allein darum, wie die verantwortlichen Politiker der Regierungskoalition mit dieser Millionen-Manifestation umgegangen sind.

Das Ergebnis des "Gen-Gipfels" mit den Initiatoren der Willenskundgebung Peter Weish und Lothar Lockl sowie Bundeskanzler Viktor Klima und seinen Ministern Wolfgang Schüssel, Barbara Prammer und Wilhelm Molterer war verheerend. Die angekündigten Arbeitsgruppen sind noch zu keinerlei Beschluß gekommen. Wofür so viele Menschen in die Eintragungslokale gingen und sich offen bekannten, droht im Dschungel des EU-Rechtes hängenzubleiben.

Die wesentlichsten Forderungen der Gen-Gegner werden abgelehnt werden, und es wird bei einer verwässerten Kennzeichnungspflicht bleiben. Jene Minister, die das betreiben, können nicht anders. Im Zwiestreit zwischen dem Syndikat von Brüssel und dem eigenen Volk müssen sie sich immer für das Syndikat entscheiden. Sie hängen seit dem Beitritt alle am Schnürl der EU-Kommission, der wahren Herrscherin über Österreich. Auch die Regierung der anderen Mitgliedsstaaten tanzen nach der Pfeife aus der Rue de la Loi, ganz gleich ob ihre Bürger sich in einem Referendum der EU selbst unterwarfen oder so sie hineingestoßen wurden.

Wir treffen hier auf das unheilvolle Paradoxon, daß jene Politiker vor kurzem als Puppenspieler alle Tricks zur Verführung anwandten, um die Mehrheit des Volkes puppengleich nach ihrem Zug tanzen zu lassen, jetzt aber selbst zu Puppen viel größerer und mächtigerer Puppenspieler geworden sind. Dieses Schauspiel ist einer altgriechischen Tragödie nachempfunden. Aber es hilft weder den Neutralitätsbewahrern, noch den Schilling-Verteidigern, noch den Gen-Gegnern etwas. Der Wille des eigenen Volkes wird erst dann wieder voll gültig sein, wenn Österreich nicht mehr zum Syndikat gehört oder das Syndikat überhaupt untergegangen ist.


 
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