© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Weikersheim auf Kurs
Kommentar
von Frank Liebermann

In der Tauberstadt Weikersheim wurde ein Generationswechsel vollzogen. Nach dem Rücktritt des ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, wählten die Mitglieder des Studienzentrums Weikersheim am vergangenen Freitag Wolfgang von Stetten zum neuen Präsidenten. Mit dem Ausscheiden von Hans Filbinger findet ein Generationswechsel statt. Er war ein Konservativer der alten Unions-Garde. Mit Wolfgang von Stetten tritt ein Mann an seinen Platz, der politisch schwer einzuordnen ist. In seiner Antrittsrede schlug er deutliche Töne an. Mit seinen Ausführungen zur Vergangenheitsbewältigung, dem Sozialmißbrauch und der Wehrmachtsausstellung dürfte sich der neue Präsident bei seinen christdemokratischen Parteifreunden nicht nur Freunde gemacht haben. Viele Politiker – und zwar gerade auch die konservativen – haben nicht mehr den Mut, die Dinge so eindeutig beim Namen zu nennen, wie das von Stetten tat. Zu Beginn seiner Amtszeit hat sich der neue Präsident weit aus dem Fenster gelehnt. Seine knallharte Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit den Republikanern hat zahlreichen Mitgliedern wiederum hart aufgestoßen. Auf Widerstand stieß auch der ausgesprochen Maastrichtfreundliche Kurs. Stetten befürwortet den Euro und möchte mit dafür sorgen, daß dieser Prozeß unumkehrbar wird.

Der neue Präsident ist kein Ideologe sondern ein politischer Pragmatiker. Er sieht die Probleme wie sie sind, ohne ideologische Scheuklappen. Insofern ist sein Abweichen von der reinen liberal-konservativen Lehre nicht verwunderlich. Der Bundestagsabgeordnete kann sich auf spannende Zeiten freuen. Vielen Mitgliedern ist er zu liberal. Gerade Konservative tun sich mit abweichenden Meinungen schwer. Dabei vergessen etliche Weikersheimer eines: Es ist besser, einen Vorsitzenden zu haben, mit dem man nur zu 80 Prozent übereinstimmt, als daß ein politisches Leichtgewicht dem Studienzentrum vorsteht. Stetten ist ein Konservativer. Er mag vielen Mitgliedern des Studienzentrums in zentralen Fragen als zu CDU-freundlich und unkritisch erscheinen. Auf der anderen Seite ist der ehemalige Richter und Professor ein Mann, der klare Worte spricht und mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält. Mit Wolfgang von Stetten konnte das Studienzentrum einen Präsidenten gewinnen, der politisches Gewicht hat. Und das dürfte sich auf die Arbeit in den nächsten Jahren positiv auswirken.

Sicher: Ein Generationswechsel hat stattgefunden. Einen inhaltlichen Richtungswechsel scheint es mit dem neuen Präsidenten nicht zu geben.


 
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