© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/97  05. Juni 1997

 
 
Opernfestival in Verona: Paisiello und Cimarosa beim 4. Festival di Primavera
Ein heiteres Leben auf der Bühne
von Julia Poser

Frühlingsfrisch präsentiert sich dem Betrachter die Stadt an der Etsch. Noch kann man gemächlich durch die alten Gassen streifen – die Touristen, die im Sommer die Arena füllen, sind noch nicht eingefallen, obwohl das prachtvolle Teatro Filarmonico aus dem Jahr 1734 Opernliebhabern wieder einmal besondere Raritäten bietet. "Der Orient in der Oper des 18. Jahrhunderts" heißt das Motto dieses Festivals.

Mit Giovanni Paisiellos "L’ idolo cinese" ("Das chinesische Götzenbild") wurde das Festival eröffnet. Diese Opera buffa des jungen Komponisten erlebte 1767 im kleinen Hoftheater des Königspalastes von Neapel eine triumphale Aufführung. Die derbe Opera buffa hatte im neapolitanischen Volk eine lange Tradition: Pulcinella, Scaramuz und der ach so gelehrt sein wollende Dottore waren mit ihrem scharfen Witz und frechen Zoten zu Publikumslieblingen geworden. Die Aufführung einer Buffa im königlichen Theater war allerdings eine Neuheit. Immer ähnlich gestrickt, ist sie Aufhänger für elegische Arien, zärtliche Duette, deftige Rezitative in neapolitianischem Dialekt und hinreißende Finali.

Eine schwungvoll musizierte Ouvertüre, gespielt vom Orchestra dell’ Arena die Verona unter der Leitung des jungen Dirigenten Corrado Rovaris, läßt heitere Laune aufkommen. Der Schauplatz ist irgendein Ort in einem imaginären China, an dem Neapolitaner, Tartaren und Franzosen zusammentreffen. Die Bühnenbilder von Lele Luzzati zeigen ein China, wie man es sich im europäischen Rokoko vorstellte. Da gibt es blauweiße Porzellanpagoden, hinter denen sich ein Liebhaber verstecken kann, zierliche Tempelchen, oder ein riesiges Nashorn, das dem dummen Tuberone als Reittier dient. Für diesen Neapolitaner spielt der schlaue Seemann Pilottola in dem Durcheinander die Rolle eines chinesischen Götzen, bis sich die Liebespaare gefunden haben.
Mit dem überschäumendem Spielwitz und vollklingendem Bariton war Bruno de Simone als schlauer Pilottola der Star des Abends. Christina Pastorello überzeugte mit warmer Tiefe und klarer Höhe in der Hosenrolle des französischen Kavaliers Adolfo. Rosanna Savoia als Tartarenmädchen gefiel mit ihrem frischen Sopran. Auch die übrigen Mitwirkenden tummelten sich unter Lorenza Codignolas Regie klangschön und temperamentvoll in dieser phantastischen Chinoiserie.
Am nächsten Abend wurde Domenico Cimarosas Buffa "I turchi amanti" ("Die verliebten Türken") gegeben. Über dessen Musik schrieb Goethe an Schiller, "daß sich das Alberne, ja das Absurde mit der höchsten Herrlichkeit der Musik so glücklich verbindet". Der im Jahr 1749 geborene Cimarosa war der unbestrittene Meister der neapolitanischen Buffa, der sogar im Wiener Hoftheater Furore machte. Eine Aufführung seiner Oper "Il matrimonie segreto" ("Die heimliche Ehe") entzückte den musikliebenden Kaiser Leopold II. so sehr, daß er "da capo" forderte, und zwar nicht nur eine Arie, sondern das ganze Werk mußte auf allerhöchsten Wunsch noch einmal gespielt werden. Cimarosas Musik sprudelt voller melodiöser Heiterkeit, geschliffenem Parlando und sinnlich weichen Ariosi. Ihre Beliebtheit sank erst mit dem Erscheinen Mozarts und Rossinis.
Der damaligen Türkenmode folgend, spielt "I turchi amanti" auf einer einsamen Insel des kleinasiatischen Archipelagos. Dort nimmt Bassa Mustanzir die schöne Neapolitanerin Lenina gefangen, in die er sich sogleich verliebt. Schon lange dient Leninas Verlobter Giorgilone dem Bassa Mustanzir als Hofnarr. Da der Bassa seiner Gattin Rossolane überdrüssig geworden ist, befiehlt er, sie zu töten. Als Page verkleidet überlebt sie jedoch bei Lenina. Rossolanes Bruder Osmano fragt seinen Schwager Mustanzir nach seiner verschwundenen Schwester und verliebt sich auch in Lenina. In einem fulminanten Finale wendet sich dann noch alles zu Guten: Der Bassa nimmt seine totgeglaubte Gattin wieder auf, Giorgiolone kehrt mit Lenina nach Neapel zurück und Osmano findet mit Selima, einer verführerischen persischen Sklavin, sein Glück.

Auch in dieser reizvollen "commedia per musica" riß Bruno de Simone als Giorgiolone das Publikum zu begeistertem Beifall hin. Die Sängerinnen beeindruckten durch ihre gutgeführten Stimmen: Patrizia Orciani als Lenina, Alessandra Rossi als Rossolane und Alessandra Ruffini als Selima. Octavio Arevalo mit schönem Tenor als Osmano und Armando Ariostini in der Rolle des dümmlichen Bassa sangen die verliebten Türken. Giuliano Carella, bestens erfahren in der Oper des 18. Jahrhunderts, entzündete mit dem Orchestra dell’ Arena ein wahres Feuerwerk betörender Melodien. Farbenprächtig die Bühnenbilder von Lele Luzzati. Maurizio Scaparros Regie setzte auf Witz und Situationskomik mit seiner bunten Komödiantenschar. Diese geglückte Aufführung würde allein schon die Reise nach Verona lohnen.


 
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