© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/97  05. Juni 1997

 
 
Wahlen in Frankreich: Ausgrenzung Le Pens rächt sich
Wahlsystem paradox
Meinungsbeitrag
von Alain De Benoist

Alain Juppé hat es geschafft, in ganzen zwei Jahren so unpopulär zu werden wie die Sozialisten in 15 Jahren. Resultat: Mit 319 Sitzen in der Pariser Nationalversammlung (davon 245 für die Sozialisten) gegenüber 258 für die bürgerliche Rechte, ist die Linke erneut an der Macht. Die Beobachter hatten damit gerechnet.

Und doch: Die Resultate vereinigen drei Paradoxa in sich. Das erste ist, daß die Sozialisten Frankreich regieren, obwohl sie kaum 25,8 Prozent der Wahlberechtigten für sich gewinnen konnten. Was beweist, daß sie nur einen von vier Franzosen repräsentieren.
Das zweite Paradox ist, daß die Linke einmal mehr die Macht in einem mehrheitlich rechten Land ausübt. Erstens vereinigen die gesamten rechten Stimmen, unabhängig von welcher Partei, insgesamt 51,2 Prozent der gültigen Stimmen. Davon sind, zweitens, nur 51,6 Prozent im Parlament repräsentiert. Diese Tatsache ist nicht neu, da die Rechte bei den Parlamentswahlen immer die Mehrheit hatte. Aber das hindert sie nicht daran, geschlagen zu werden. Und zwar aus einem sehr einfachen Grund: wegen ihrer Apartheidspolitik gegenüber dem Front National (FN). 1993, mit einer von 15 Jahren Mitterand-Politik geschwächten Linken, war diese Politik ohne Konsequenzen geblieben. Mit einer Linken, die wieder ihren normalen Pegel erreicht hat, hat das notwendigerweise zur Niederlage der rechtsbürgerlichen RPR-UDF-Koalition geführt. Und dieser Zustand ist möglicherweise dauerhaft. Mit etwa 15 Prozent der Stimmen, findet sich der FN in einer Position wieder, die früher von den Kommunisten links von den Sozialisten eingenommen wurde und die es damals den Rechten erlaubt hat, für nahezu 23 Jahre ohne Unterbrechung an der Macht zu bleiben. Indem die klassische Rechte die Le Penisten isolieren wollen, stärken sie sie zugleich eine Kraft, ohne deren Hilfe sie nicht die leiseste Chance haben, die Mehrheit zu erlangen. Daraus ist ganz offensichtlich ein Schluß zu ziehen. Dieser wird aber ebenso offensichtlich nicht gezogen.

Das letzte Paradox ist, daß der FN mit einem Ergebnis von 15,2 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang nur einen einzigen Abgeordneten in der Nationalversammlung haben wird, während der RPR und die UDF mit einem fast identischen Ergebnis (16,4 und 14,8 Prozent) mit 140 respektive 109 Abgeordneten vertreten sein werden; die Kommunisten immerhin mit 37 bei einem Ergebnis von weniger als 10 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang. Der Grund dafür ist altbekannt. Er besteht in einem Mehrheitswahlrecht, das die Gewinner bevorzugt. Nach diesem System braucht eine Gruppe, die zwar im ersten Wahlgang 32 Prozent der Stimmen bekommen hat, nicht gewählt zu werden, wenn sie über keinerlei gegenseitige Übereinkunft mit einem anderen Kandidaten verfügt, der im zweiten Wahlgang zu ihren Gunsten zurücktritt, wenn dieser unterlegen ist. Auf diese Weise haben 1993 RPR und UDF 80,1 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung erlangt, obwohl sie im ersten Wahlgang nur 44 und im zweiten 55,9 Prozent erlangten. Das waren nur 400.000 Stimmen mehr als 1981, als sie von den Sozialisten geschlagen wurden. Konsequenz: Der einzige Abgeordnete des FN, Jean-Marie Le Chevallier, wird allein vier Millionen Wähler repräsentieren, während ein Abgeordneter der Sozialisten oder des RPR nur etwa 40.000 repräsentiert.

Die Franzosen halten auf jeden Fall den Weltrekord der Instabilität der Wahlergebnisse: Nachdem sie nacheinander 1981 für Mitterand, 1986 für die Rechte, 1988 wieder für Mitterand stimmten, haben sie 1993 erneut die Rechte gewählt, um sie 1995 wieder abzuwählen. Sechs Wechsel in 16 Jahren. Das macht alle 30 Monate einen politischen Wechsel. Diese politische Instabilität hat vor allem zwei Gründe: Der erste Grund ist: Die Gesellschaftsschichten, die im momentanen Gesellschaftsmodell integriert sind und damit mehr oder weniger für die Globalisierung sind, haben mehr und mehr jegliche politische oder soziologische Basis verloren.

Vergleicht man die Parteiprogramme, so scheinen sie verstanden zu haben, daß die Interessen dieser Gesellschaftsschichten ebenso gut von einer rechtsliberalen wie von einer sozialdemokratischen Partei vertreten werden kann. Also wählt man entweder das eine oder das andere, weil es zwischen ihnen keine Unterschiede mehr gibt.
Der andere, entscheidende Grund besteht in einem permanenten Unbehagen dieser Bevölkerungsschichten, das selber eine tiefe Krise des Systems der repräsentativen Demokratie, enthüllt. Die heutigen Franzosen sagen nicht mehr ja. Sie sagen nein zu allen bisherigen Mehrheiten. Nein zu allen Repräsentanten dieser Neuen Klasse. Nein zur UDF-RPR, der Partei, die die Interessen der Großbürger vertritt. Aber auch nein zu den Sozialisten, der Interessenvertretung der Kleinbürger des Staates. Die Resultate des vergangenen Sonntag sollten keine Illusionen hervorrufen. Die Franzosen haben weniger ja zu Jospin als vielmehr nein zu Juppé gesagt. Man sollte also nicht von einem Re-gierungswechsel sprechen, sondern von einer Krise der Regierungsform.

Alain de Benoist ist Herausgeber der französischen Zeitschrit "Nouvelle Écolle"


 
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