© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/97 05. Juni 1997 |
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Weltwirtschaft: Finanz-AIDS ausgebrochen Rette sich wer kann! Meinungsbeitrag von Gernoch Reisegger Die Stimmen werden häufiger, die offen über den Irrsinn oder Betrug sprechen, der mit den herrschenden Wirtschafts-Dogmen betrieben wird. Die Maastricht-EU ist von dieser Art. Die FAZ machte deutlich, daß die US-Zustimmung zur Wiedervereinigung von zahlreichen wirtschaftlichen und strategischen Fesseln abhängig gemacht worden ist: Die wesentlichste ist das Maastricht-Korsett, das die deutsche Souveränität und Handlungsfähigkeit strangulierte. Die "Gründe" für eine Wirtschafts- und Währungsunion "europäische Wettbewerbsfähigkeit", vor allem gegenüber den USA, sind aus den Märchen von Tausendundeiner Nacht. Friedrich Romig brachte jüngst wieder Gedanken J. G. Fichtes über den "geschlossenen Handelsstaat" in Erinnerung. Die grundlegende Idee Fichtes ging vom Ziel des Staates aus und kam zum Schluß, daß nur seine Begrenzung dem Wohl seiner Bürger dienen könne. Fichte heute? Das mag wie mangelnde "Modernität" = Aktualität erscheinen. Dann dürfte man sich aber auch nicht auf A. Smith berufen, oder 1789, der Französischen Revolution, gedenken. Letzteres am wenigsten, wo doch die Ursachen unseres Dilemmas in Politik, Wirtschaft, Ethik gerade in diesen Ereignissen dem Sieg der "Aufklärung" liegen. In den
vergangenen 15 Jahren wuchs die US-Wirtschaft pro Jahr um drei Prozent, die
Unternehmensgewinne ca. um fünf Prozent (hauptsächlich durch Bilanzschönen), die
Aktien-Märkte sind aber um durchschnittlich 15 Prozent jährlich explodiert. Eine
Fiktion, wenn die Aktien angeblich drei- bis fünfmal schneller als die Wirtschaft
wachsen! In den letzten 12 Monaten hat sich das BIP-Wachstum zwei Prozent, die
Unternehmensprofite unter der Inflationsrate zugenommen und dennoch sollen die
Marktwerte der Unternehmen um 28 Prozent gestiegen sein! Das ist absurd und
Manipulation jeder wirtschaftlichen Realität. Sogar dem "freien Auge"
erkennbar, das anscheinend den oft "nobelpreiswürdigen" Wirtschaftstheorien
überlegen ist. Die heute üblichen mathematisierten ökonomischen Theorien erscheinen als eine gefährliche Form des Wahnsinns, und gerade die Erfolge der bedeutenden Industrienationen (USA, Deutschland, Japan) wurden nicht wegen der "Freimarktideologie" errungen, sondern durch kluge Steuerung und Regulierung, die den "blinden Impulsen" des Marktes entgegenwirkte. Ähnliche Überlegungen sprach vor ein paar Jahren Professor Kreye aus, als er für eine "regulierte Marktwirtschaft" plädierte. Der Witz ist, daß heute das Finanzsystem die Realwirtschaft beherrscht, obwohl es umgekehrt sein müßte. Unsere Hochachtung für die immer feineren und wirklichkeitsfremden, aber nobelpreiswürdigen Glasperlenspiele der Chicagoer Ökonomen beleuchtet, wie dogmatisch wir an diesem verderblichen Unsinn festhalten. Seit den 70er Jahren stagniert bzw. schrumpft auch die Gesamterzeugung absolut, vor allem, wenn man sie pro Kopf betrachtet. Damit sind die Schulden in Wahrheit nicht mehr gedeckt. Es sind lediglich nominelle Titel, die sich mit neuen Spekulationen über Wasser zu halten suchen. Man muß befürchten, daß die Seifenblase bald platzt. Die sogenannte nachindustrielle Gesellschaft ist ein Betrug der angebliche magische Produktivitätsschub hat nie stattgefunden. Statt dessen saugt die überdimensionale Finanzblase, die zum Überleben ständig neue, steigende Liquidität benötigt, die Volkswirtschaften buchstäblich aus. Die Kompensation der verlorengegangenen produktiven Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich ist ein fataler Irrtum. Sie existiert nur virtuell, überdies sind sie in der Krise sofort weg, weil entbehrlich. |