© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/97 13. Juni 1997 |
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Bonn vor dem Wechsel: An den Stühlen der Altvorderen wird bereits kräftig gesägt Kampf ums nackte Überleben von Hans-Georg Münster Nur noch mit Raffinessen und Tricks schleppen sich Union und FDP von einer Bundestagssitzungswoche zur nächsten. Am Ende ihrer Kräfte und Gemeinsamkeiten vereint nur der Gefallen an den Privilegien der Macht wie Dienstwagen, große Büros und üppige Gehälter. Zur Ablösung der Bonner Amateure mit Profigehalt gibt es im Bundestag keine Alternativ-Konstellation. So bleibt Helmut Kohl, der Mann, den sie im letzten Herbst den Ewigen Kanzler" nannten, als eine Art Karikatur seiner selbst im Amt. Den Herbst des Pfälzer Patriarchen prägt ein eisernes Gesetz vom dauerhaften Abwärtstrend und ein fast winselndes Flehen für eine europäische Währungsreform. Doch die kleben an ihren Sesseln bis zum Schluß", weiß die Grünen-Fraktionssprecherin Kerstin Müller. Wie lange noch, fragte der römische Staatsmann Cicero bereits vor rund 2000 Jahren, als es im alten Rom drunter und drüber ging. Die Frage gilt auch für das aktuelle Koalitions-, Finanz-, Euro- und Golddrama in Bonn. Wie lange soll es noch so weitergehen? Daß Finanzminister Theo Waigel einen Oppositionsantrag auf Entlassung ziemlich mühelos überstand, war keine Überraschung. Alles andere wäre das Ende der Koalition gewesen. Union und FDP wirken wie aneinandergekettet. Doch da sich der Vorrat an Gemeinsamkeiten rapide dem Ende zuneigt, stellt sich auch hier die Frage: Wie lange noch? Noch ein paar dieser Siege, und wir sind wirklich am Ende", lautete der verzweifelte Kommentar eines Unions-Mitarbeiters in der Lobby des Bundestages. Immerhin gelang es der Koalition mit einem Geschäftsordnungstrick, die von SPD und Grünen geforderte Abstimmung über den Bundesbank-Protesttext gegen Waigels Goldfinger-Operation abzusetzen und den Antrag sang- und klanglos im Finanzausschuß verschwinden zu lassen. Nur die Probleme bleiben, denn die FDP lehnt Steuererhöhungen immer noch ab. Damit ist klar: In Bonn wird nicht mehr gestaltet, sondern nur noch verwaltet. Wer von schnellen Neuwahlen redet, kennt entweder das Grundgesetz nicht oder will durch das Werfen von Nebelkerzen ablenken. Eine Neuwahlen-Diskussion beschäftigt die Medien schon zwei, drei Tage. Und das ist in dieser Bonner Zeit eine wichtige Atempause. Kohl denkt nicht daran, die Vertrauensfrage zu stellen. 1982, als er sich von CDU/CSU und FDP bewußt abwählen ließ, um Neuwahlen herbeizuführen, fing er sich einen so schweren Rüffel des Verfassungsgerichts ein, daß er diesen Weg nicht mehr gehen wird. Für ein Konstruktives Mißtrauensvotum fehlt der SPD ein Kanzlerkandidat (eigentlich ein Treppenwitz in dieser unruhigen Zeit). Sollte sich etwa der treue Parteisoldat Rudolf Scharping für ein Mißtrauensvotum hergeben und Kohl herausfordern? (Eine Abwahl des Kanzlers ist ohne Wahl eines Nachfolgers nicht möglich). Gesetzt den Fall, es würde so weden: Was ist, wenn Scharping Kanzler würde? Auch eine Große Koalition liegt derzeit noch in weiter Ferne. Die Probleme des deutschen Staates sind weder über Nacht gekommen, noch waren sie
unvorhersehbar. Kohl und Waigel haben zu lange das zentrale Problem der sinkenden
Staatseinnahmen und steigenden Ausgaben ignoriert. Die öffentliche Meinung kippte nach dem Votum der Bundesbank um, Helmut Kohl und
Waigel gerieten in höchste Not. In der CDU/CSU-Fraktion formierte sich erstmals eine
Front gegen Waigel, angeführt vom ehemaligen Finanzminister Gerhard Stoltenberg, der mit
Waigel noch ein paar alte Rechnungen offen hat und außerdem ein persönlicher Freund des
Bundesbank-Präsidenten Hans Tietmeyer ist. Stoltenberg fand in der CDU viel Sympathie,
während die CSU-Abgeordneten wie schon Jahre zuvor in der Amigo-Affäre Max
Streibls dumpfe Solidarität mit Waigel bekundeten. Die knappe Mehrheit war
jedenfalls in Gefahr. Im Bundestag sagte Waigel dann, er habe sich mit Tietmeyer auf einen gemeinsamen Weg verständigt". Tietmeyer ruderte vor und wieder zurück. Er dementierte, daß er ein Ergebnis im Gespräch mit Waigel dementiert habe, um im nächsten Satz klarzumachen, daß noch keine formelle Einigung vorliegt". Kanzler Kohl kam Waigel wie schon früher zu Hilfe und zeigte sich mit seinem Finanzminister solidarisch. Kohl braucht Waigel dringend, um das Vordringen seines Intimfeindes und Euro-Kritikers Edmund Stoiber aus Bayern auf die Bonner Bühne zu verhindern. Nur Waigel, nach Bonner Spott Kohls Sekretär für CSU-Angelegenheiten", kann des Kanzlers blonden Alptraum" Stoiber in München binden. Kippt Waigel, kippt auch der Euro, und schließlich kippt Kohl ein Dominoeffekt, über den sich der Kanzler im klaren ist. Dabei haben Ironie des Schicksals die Wahlen in Frankreich mit dem Linksrutsch den Niedergang Waigels beschleunigt. Schon mäkelt die neue sozialistische Regierung in Paris an Waigels Stabilitätspakt für den Euro herum. Haushaltsdisziplin erscheint den Sozialisten weniger wichtig als dem deutschen Finanzminister, der auf ein Defizitkriterium von 3,0 bei der staatlichen Neuverschuldung von der eigenen Partei verpflichtet worden ist. Die Stoiber-Fraktion sprach schon bei der Verabschiedung des Beschlusses von einer 3,0-Falle für Waigel. Die Franzosen, denen das Schicksal des deutschen Finanzministers egal sein dürfte, könnten die Falle zuschnappen lassen. Und der CSU sind die bayerischen Landtagswahlen allemal bedeutsamer als die Bundestagswahlen. Waigel ist nur noch CSU-Chef auf Zeit. Er weiß es nur nicht. In dem Bonner Durcheinander, das das Ansehen der Republik und ihrer Institutionen, insbesondere der Bundesbank, wie nie zuvor ramponiert hat, blieb bisher unklar, wie die Regierung ihre Finanzprobleme lösen will. Immerhin fehlen 1997 rund 30 Milliarden und bis zum Jahre 2000 beim Gesamtstaat sogar 118 Milliarden Mark. Waigel rasselte im Bundestag zwar viele Zahlenkolonnen herunter; zur Haushaltssanierung gab er nur eine Ausgabensperre bekannt, von der Experten höchstens zwei Milliarden Mark Minderausgaben erwarten. Hinter den Kulissen wird an anderen Plänen gearbeitet: So soll der FDP eine Euro-Steuer" schmackhaft gemacht werden. Die Liberalen seien zwar per Parteitagsbeschluß auf Widerstand gegen alle Steuererhöhungen zur Deckung von Haushaltslöchern verpflichtet; doch gegen die Erfüllung der Maastricht-Kriterien könnten sie doch nichts haben. Erwogen wird eine Zusatzabgabe auf Benzin, Brennstoff, Tabak und Branntwein. Neben Haushaltssicherungsmaßnahmen (eventuell mit Sozialkürzungen) und mehr Schulden wird ebenfalls überlegt, ob man Teile der Bundesbank-Ausschüttungen, die 1998 durch die Höherbewertung von Währungsreserven zustandekommen, in das Haushaltsjahr 1997 zurückbuchen kann. Ob der Weg gangbar ist, bleibt fraglich. Ohne Steuererhöhungen kommt Waigel jedoch auch mit diesem Trick nicht aus. Die Union rechnet damit, den FDP-Widerstand bis Mitte Juli brechen zu können. Alternativen hätten die Liberalen ohnehin nicht. Irgendwie erinnert die Bonner Koalition an einen leckgeschlagenen Dampfer, dessen Kapitän die Wassereinbrüche ignoriert und statt dessen mit voller Kraft auf den Zielhafen namens Euro-Währung zusteuert. Leicht möglich, daß das Schiff vorher sinkt. |