© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/97  13. Juni 1997

 
 
Die Nazifizierung der Deutschen
von Ralph Raico

or kurzem machte ein deutscher Freund mir gegenüber im Scherz die Bemerkung, nach seinem Eindruck könnten amerikanische College-Studenten heutzutage mit Deutschland nur Bier, Lederhosen und die Nazis in Verbindung bringen. Ich erwiderte, daß daß Amerikaner – ob College-Studenten oder nicht – mit Deutschland im Grunde nur eine Sache in Verbindung brächten. Wenn von den Deutschen die Rede ist, fällt einem zuerst der Nationalsozialismus ein; was auch immer dann noch in den Sinn kommt, ist bereits durch Gedanken an die Nazis gefärbt und vergiftet. Als die linksliberale Kolumnistin Molly Ivins über die Rede des konservativen Präsidentschaftskandidaten Pat Buchanan auf dem 1992er Parteitag der Republikaner bemerkte: „Im deutschen Unterton klang sie besser", wußte jeder sofort, was sie meinte. Diese beiläufige Bemerkung wurde von William Saffire und anderen aufgenommen und zog ihre Kreise. Ein andauerndes Getöse aus Hollywood und von den wichtigsten Medien hat uns darüber aufgeklärt, wofür „deutsch" eigentlich steht.

Doch es gibt – wie einige Deutsche klagend betonen – eine fünfzehnhundertjährige Geschichte „jenseits" des Dritten Reiches. Ihre Jahrhunderte währenden kulturellen Beiträge für die Länder Osteuropas aber auch für Amerika sind für diese Länder von größter Bedeutung. Doch überall wird unablässig auf einem Zeitraum von zwölf Jahren aus der Geschichte dieses alten europäischen Volkes herumgeritten. Normalerweise sollte man erwarten, daß dem von Deutschland selbst eine ausreichende Verteidigung entgegengesetzt würde. Doch gerade dort sind – in der linken Intelligenzia – viele der wichtigsten Deutschenhasser zu finden. Gequälte Klagen wie die des konservativen Historikers Michael Stürmer, daß „wir (nicht leben können), indem wir ständig unsere eigene Vergangenheit ins Nichts zerbröseln, indem wir sie zu einer permanenten Quelle von unendlichen Schuldgefühlen machen", waren bloß ein weiterer Beweis dafür, daß die Deutschen dringend einer radikalen Umerziehung bedurften.

Dem „Marsch durch die Institutionen" der deutschen Linken nach 1968 war in den Medien, in den Schulen und Universitäten, in den Kirchen und zunehmend auch in der Politik ein spektakulärer Erfolg beschieden. Ihre Herrschaft über die kulturelle Infrastruktur erzeugte ein Lage, in der die öffentliche Äußerung irgendeiner deutschfreundlichen Gesinnung als Beweis für Rechtsradikalismus angesehen wurde.

Dann kam das Jahr 1989 – mit dem Fall der Berliner Mauer und Anzeichen dafür, daß die Deutschen immer noch einen gewissen Sinn für Nationalstolz hegen könnten. Der konservative Historiker und Publizist Rainer Zitelmann schreibt: Die „Linke erlebte die Wiedervereinigung und den Zusammenbruch des Sozialismus als Niederlage", als einen schweren Rückschlag, der irgendwie wieder wettzumachen war, wenn es nicht zu einer „Wende" kommen sollte und dazu, daß die Linke ihre Macht zur Steuerung politischer Diskussionen verliert. Die vollkommene Gelegenheit bot sich, als ein paar Schwachsinnige damit begannen, die Wohnungen und Asyle ausländischer Einwohner zu brandschatzen. Jetzt kam es zu einer umfassenden Kampagne gegen einen vermeintlich tiefsitzenden deutschen „Rassismus" und gegen ebensolche „Ausländerfeindlichkeit", die – natürlich – mit hysterischen Warnungen vor einem „Wiederaufkommen des Nationalsozialismus" und endlosen Hinweisen auf Gemeinsamkeiten von Nationalsozialismus und bürgerlichem Deutschland einherging.

Den neuesten Anfall von Erniedrigung und deutschem Selbsthaß gab es bei der Veröffentlichung von Daniel Jonah Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker: Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust". Mit einem bemerkenswerten Sperrfeuer an Reklame vom amerikanischen Knopf Verlag auf den Markt gebracht und von den Harvarder Freunden des Autors in grotesker Weise hochgejubelt, wurde dieses Buch von A. M. Rosenthal in der New York Times wärmstens dafür empfohlen, das emotionale Äquivalent eines ersten Auschwitzbesuches in sich zu tragen.
Er unterläßt es, wohlbekannte Tatsachen zu erwähnen – zum Beispiel, daß jeder, der mit dem Judenmord zu tun hatte, durch den Führerbefehl Nr. 1 und durch besondere Befehle Himmlers, die strengstes Stillschweigen bei Todesstrafe auferlegten, gebunden war. Daher ist es nicht überraschend, daß etwa der frühere Kanzler Helmut Schmidt – während des Krieges ein Offizier der Luftwaffe – bekannte, er habe von der Judenvernichtung niemals etwas gehört oder gewußt; oder daß die Gräfin Dönhoff – Herausgeberin der Zeit – erklärte, daß sie trotz ihrer Verbindnungen zu vielen Entscheidungsträgern während des Krieges nichts von den Massentötungen in den Lagern gewußt und „den Namen ‘Auschwitz’ zum ersten Male nach dem Kriege gehört" hat.
Während er die Deutschen eines einzigartigen und krankhaften Antismeitismus beschuldigt und einige seiner Kritiker erwidern, daß im Gegenteil die ganze Christenheit, ja die christlichen Religionen selbst am Völkermord an den Juden beteiligt ist, richtet sich die Aufmerksamkeit weiterhin auf das vermeintlich einzige große Verbrechen der neueren Vergangenheit – wenn nicht der gesamten Menschheitsgeschichte – und alle anderen Verbrechen bleiben praktisch unbeachtet. Insbesondere werden die Schandtaten kommunistischer Regierungen ungebührlich vernachlässigt.
Vor einem Jahrzehnt entzündete Ernst Nolte – damals von der Freien Universität Berlin – den sogenannten Historikerstreit. Er fragte: „War nicht der ‘Archipel Gulag’ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ‘Klassenmord’ der Bolschewiki das logische und faktische Primus des ‘Rassenmords’ der Nationalsozialisten?" Das sind noch immer gute Fragen. In den Vereinigten Staaten wird jemand, der die Nachrichten aufmerksam verfolgt, wahrscheinlich buchstäblich an jedem Tag seines Lebens auf Bezugnahmen zum Holocaust treffen. Aber wer hat in den USA je von Kolyma gehört, wo mehr Menschen zu Tode kamen als es nach den heutigen offiziellen Zahlen in Auschwitz der Fall war? Hat diese Tatsache auch nur begonnen, in das Bewußtsein der Öffentlichkeit einzudringen?

In ihrer Geschichte der Sowjetunion („Utopia an der Macht") kommen Mikhail Heller und Aleksandr M. Nekrich auf dieses Problem zu sprechen. Im Hinblick auf den mörderischen Krieg der Sowjets gegen die Landbevölkerung – einschließlich des Hungerterrors in der Ukraine – schreiben sie:

Zweifellos wußte die sowjetische Stadtbevölkerung von dem Massaker auf dem Land. In der Tat versuchte niemand, es zu verbergen (…) Auf den Bahnhöfen konnten Stadtbewohner die tausenden Frauen und Kinder sehen, die aus den Dörfern geflohen waren und verhungerten. Kulaken, „entkulakisierte Personen" und „Kulakendiener" starben gleichermaßen. Sie galten nicht als Menschen.

Es gibt keinen Aufschrei in den USA, das russische Volk solle Genugtuung leisten, und niemand spricht von seiner „ewigen Schuld". Es versteht sich von selbst, daß – anders als bei Nazi-Verbrechen, die dem Nationalismus und Rassismus angelastet wurden – die Übeltaten des Kommunismus in Rußland, China oder sonstwo niemals dem Internationalismus zur Last gelegt werden. Der Hinweis auf kommunistische Verbrechen soll die Zerstörung des europäischen Judentums nicht „verharmlosen", und das kann er auch nicht.

Der Leser mag es unglaublich finden, aber es gab in der Tat eine Zeit, da amerikanische Konservative bei der Aufdeckung alliierter – und insbesondere amerikanischer – Grausamkeiten gegen Deutsche die Federführung hatten. Hochkarätige Journalisten wie William Henry Chamberlain in America’s Second Crusade (Amerikas zweiter Kreuzzug) und Freda Utley in The High Cost of Vengeance (Die hohen Kosten der Rache) prangerten jene an, die das, was Utley „unsere Verbrechen an der Menschheit" nannte, begangen hatten – jene Männer, die die Terrorbombardierungen der deutschen Städte steuerten, die sich zusammentaten, um etwa fünfzehn Millionen Deutsche aus dem Land ihrer Vorfahren im Osten zu vertreiben, wobei um die zwei Millionen starben. Sie bestand darauf, dieselben ethischen Standards an Sieger und Besiegte gleichermaßen anzulegen. Sonst würden wir zugeben, daß „Hitler in seinem Glauben ‘Gewalt schafft Recht’ richtig lag".

Die Besessenheit mit der niemals endenden Schuld der Deutschen fördert auch die Ziele derer, die mit Freude der Vernichtung des Nationalstaats und der nationalen Identität entgegensehen, zumindest, was den Westen anbelangt. Wie der Philosoph Robert Maurer argumentiert, schärft sie den Deutschen „ein dauerhaft schlechtes Gewissen" ein und hindert sie daran, „ein normales Selbstbewußtsein zu erlangen". Das führt dazu, eine „neue deutsche Identität" zu schaffen, die „in der Negation ihrer selbst" besteht und daher „universal vorbildlich sein [kann] für die kosmopolitische Überwindung jedes Nationalismus", nach der heute viele streben.
Ernst Nolte hat kürzlich auf eine andere Strategie hingewiesen, die hier am Werke ist und dem gleichen Ziel dient. Nichts ist offensichtlicher, als daß wir uns inmitten einer gewaltigen Kampagne zur Delegitimierung der westlichen Zivilisation befinden. Bezweckt werde, so Nolte, ein Schlag gegen „die in Jahrhunderten errungene kulturelle und sprachliche Homogenität der Nationalstaaten … und die Tore zu einer Masseneinwanderung [zu] öffnen".

Es scheinen kulturelle Bewegungen im Gang zu sein, die die gegenwärtige Fixierung eher bestärken als vermindern werden. Mehr als ein Kommentator hat bemerkt, daß in dem Maße, in dem der Westen jeden in Vernunft, Tradition oder Glauben verwurzelten Sinn für Sittlichkeit verliert und doch gleichzeitig das Bedürfnis nach einer sicheren moralischen Leitung verspürt, er diesen zunehmend in dem einen anerkannten „absoluten Bösen" findet: im Holocaust. Wenn diese Behauptungen stimmen, dann werden der moralische Verfall unserer Kultur weiterhin die Deutschen und alle Völker des Westens zu Opfern machen.


 
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