© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/97  13. Juni 1997

 
 
1000-Jahr-Feier in Danzig: Was Deutschland der Stadt zu verdanken hat
Schatzkammer an der Ostsee
von Rüdiger Ruhnau

Als vor einiger Zeit an den Universitäten Tübingen und Heidelberg Ausstellungen stattfanden, die das Thema „Danzigs Beitrag zur deutschen Literatur- und Geistesgeschichte" beinhalteten, war die Resonanz groß. Mit Erstaunen stellten viele Studierende und manche Dozenten fest, daß in jeder geistesgeschichtlichen Epoche Persönlichkeiten aus der alten Hansestadt oder auch solche, die dort nur eine Zeitlang wirkten, ihre unverwechselbaren Spuren in den Ablauf der deutschen Kulturgeschichte eingetragen hatten.

Die Geschichte der Danziger Literatur beginnt mit den Rittern des Deutschen Ordens, die sich 1308 in den Besitz der Weichselstadt setzten und eine rund 150 Jahre währende Blütezeit einläuteten. Peter von Dusburg vollendete die erste Ordenschronik „Chronicon terrae Prussiae", bis heute eine bemerkenswerte Quelle der Eroberung des Preußenlandes durch die Deutschherren. Nicolaus von Jeroschin übersetzte Dusburgs Geschichtsbuch ins Deutsche, ein Werk, das den großen mittelalterlichen Epen ebenbürtig an die Seite zu stellen ist.

Eine besondere Erweiterung erfuhr das geistige Leben der Hansestadt durch die Einflüsse von Humanismus und Reformation. Der weitgereiste Johannes Flachsbinder, genannt Dantiscus, später Fürstbischof des Ermlandes, wurde am Wiener Kaiserhof zum „Poeta laureatus" gekrönt. Bischof Tiedemann Giese drängte den Freund Nicolaus Copernicus zur Drucklegung seiner Forschungsergebnisse; ein Jahr nach Erscheinen von „De revolutionibus orbium coelestium" verteidigte er das heliozentrische Weltbild des preußischen Astronomen in aller Öffentlichkeit.
Der Zeitraum von 1454 bis 1793 wird als Danzigs „erste Freistaatzeit" bezeichnet. Die Stadtrepublik siegelte mit rotem Wachs, wie es nur selbständigen Staaten vorbehalten war, erließ eigene Gesetze, unterhielt Gesandtschaften im Ausland, finanzierte ein Söldnerheer und führte, wenn es sein mußte, Kriege, so 1577 gegen den Polenkönig, als dieser ihre Privilegien nicht anerkennen wollte. Der Stadtsekretarius Hans Hasentödter, der eine Weltchronik unter besonderer Berücksichtigung Preußens schrieb, dichtete das berühmte Trutzlied: „O Danzig halt dich feste". Aus den Bürgerbüchern jener Zeit ist ersichtlich, daß die Bevölkerung zu 90 Prozent deutsch war.
Von Johannes Hevelius erschien 1647 die erste klassische Mondbeschreibung „Selenographia Sive Lunae descrioptio", mit einer großen Zahl von Mondkarten, die er eigenhändig gestochen hatte. Zu den vielen Flüchtlingen, die während des Dreißigjährigen Krieges ein Refugium in dem von der Kriegsfurie verschonten Danzig suchten, gehörten die Barockdichter Martin Opitz und Andreas Gryphius, beide aus Schlesien. In seinem „Buch von der deutschen Poeterey" verlangt Opitz, der in St. Marien begraben liegt, daß der Dichter Fremdwörter vermeiden möge. Der Lyriker und Dramatiker Gryphius (1616–1664) schrieb u. a. das Trauerspiel „Leo Armenius" in der Hansestadt. Von der Erschütterung über Deutschlands Schicksal im Dreißigjährigen Krieg sprechen seine „Tränen des Vaterlandes".

Berühmteste Danziger Vertreterin der Aufklärung ist Luise Adelgunde Kulmus, später „die Gottschedin" genannt. Mit 22 Jahren heiratete sie den Magister Christoph Gottsched, der als „Literaturpapst" für Verständlichkeit in Sprache und Dichtung kämpfte. In dem Lustspiel „Die Pietistery im Fischbein-Rocke" prangert die Gottschedin die heuchlerische Frömmigkeit ihrer Zeit an.

Georg Forster, Schöpfer der vergleichenden Länder- und Völkerkunde, wurde 1754 in einem kleinen Dorf bei Danzig geboren. Nach der Teilnahme an Cooks Südsee-Expedition erschien sein Werk „Reise um die Welt". Das Britische Museum in London besitzt noch heute 301 botanische und 272 zoologische Blätter aus seiner Hand. Zusammen mit Alexander von Humboldt unternahm er eine Studienreise nach England und Frankreich, deren Ergebnisse er publizistisch auswertete.
Die drei wohl bekanntesten Danziger sind Andreas Schlüter, Daniel Chodowiecki und Arthur Schopenhauer. Schlüter (um 1660–1714) verlieh mit dem barocken Reiterstandbild des Großen Kurfürsten, mit der Ausschmückung des Zeughauses und der Gestaltung des Berliner Schlosses, dem jungen brandenburg-preußischen Staat den künstlerischen Ausdruck seiner Stärke und seines Stils. Der Maler und Radierer Chodowiecki (1726–1801) gilt als der Bildchronist preußischer Geschichte; erst durch seine Illustrationen zu den Werken von Dichtern und Wissenschaftlern steht das geistige Deutschland der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in voller Lebendigkeit vor uns. Schließlich der 1788 in Danzig geborene Arthur Schopenhauer, einer der größten Denker deutscher Zunge. Sein Hauptwerk ist „Die Welt als Wille und Vorstellung" kommt er zur folgenden Feststellung.

Man gelangt weiterhin zu Robert Reinick, dem liebenswerten Maler-Poeten der Romantik, zu dem Nicht-Danziger Joseph von Eichendorff, der vier Jahre als preußischer Regierungsrat in der Ostseemetropole weilte und dort seinen „Taugenichts" vollendete.
Paul Scheerbart (1863–1915), der mehr als dreißig Bücher geschrieben hat, kennen nur Eingeweihte. Er gilt als Vorläufer des Expressionismus in der Literatur. Mit dem Liebesdrama „Jugend", dessen Uraufführung 1893 im Berliner Residenztheater erfolgte, feierte Max Halbe (1865–1944), der Dichter des Weichsellandes, einen stürmischen Erfolg, der ihn in die erste Reihe der jungen Dramatiker stellte.

Einen ganz anderen Weg


 
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