© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/97 13. Juni 1997 |
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Jugendkult: Wenn der Enkel mit dem Opa Arm in Arm nach Hause geht Drinnen tobt die Party von Manuel Ochsenreiter Die Leute stehen schon so lange an, daß sich die Reihe der Wartenden bereits um die parkenden Autos herum windet. Grelle Sakkos, Marlene-Dietrich-Brillen, Schlaghosen und Koteletten prägen das bunte Bild und wir fühlen uns in die siebziger Jahre zurückversetzt. Doch nicht Sechsämtertropfen, sondern eine Flasche Wodka-Puschkin, Geschmacksrichtung Brombeere macht die Runde. Diese Sorte Feuerwasser gibts nur heute. Aus der Hafenbar", dem Ort, wo alle auf ihren Einlaß warten kommt Schlagermusik (Wann wird es mal wieder richtig Sommer ") und dampfender Nebel. Ein Gespenst geht um in Deutschland. Das Gespenst des organisierten schlechten Geschmacks. Nachts kommen sie aus ihren Wohnungen und Studentenbuden, mit breiten grellen Krawatten, enganliegenden Hemden mit Schwitzflecken und Plüschjaketts. Sie tanzen zu Geräuschen Freddy Quinns, der Jakob-Sisters und Juliane Werdings. Auch Howie" Carpendale ist dabei. Mit den Assecoires der Eltern tanzen zur Musik der Eltern. Eine Wahrhaft konservative" Angelegenheit also. Bad Taste Parties" heißt das Stichwort. Oder anders: Schlechte Diskos
organisieren an schlechten Tagen schlechte Parties mit schlechter Musik. Das nennt man
dann Kult, das hat Erfolg, das bringt Geld. Bis zu 15 Mark löhnt ein jugendlicher
Rex-Gildo-Fanatiker an so einem Abend. Plötzlich finde ich mich an der Bar wieder, rechts neben mir sitzt ein grüner Minirock mit rot-weiß-gestreiften Strümpfen und gelben Plateau-Schuhen. Dies alles sehe ich trotz meiner grün-blau-verspiegelten Sonnenbrille, ein Erbstück für das man früher wohl von zu Hause rausgeschmissen worden wäre. Der ganze Tresen ist voller Becks" und irgendwelcher bunter Cocktails mit farbigen Schirmchen darin. Keine Frage: Langsam finde auch ich Gefallen am schlechten Geschmack. Der grüne Mini und ich führen eine heiße Diskussion: Sind Röhrenjeans wirklich potenzmindernd? Abwechslungsweise vertreten wir verschiedene Positionen, ist doch egal, Hauptsache, man unterhält sich. Oder besser, man schreit sich an. Dazwischen wird kräftig mitgesungen. Eigenartig, jeder kennt die Texte, obwohl ja
niemand solche Musik freiwillig außerhalb dieses Raumes hören würde. Auch
Griechischer Wein" von Udo Jürgens wird nicht ausgelassen. Locker geht der
Text über meine Lippen. Griechischer Wein, ist so wie das Blut der Erde, komm
schenk noch ein
" Ich muß stocken. Habe ich gerade wie das Blut der
Erde" gesungen. Blut der Erde
" mein leicht angeschlagenes
Gehirn arbeitet Blut der Erde", an was erinnert mich das noch mal.
Jetzt! Klingt das nicht wie Blut und Boden"? Was will uns Udo Jürgens damit
sagen? Sollten wir nicht vorsichtiger sein? Aber das war nicht alles! Da war doch noch
Reinhard Mey mit seinem Anti-Emanzen-Hit Oh Annabell". Und dann noch Der
Mörder ist immer der Gärtner" vom gleichen Interpreten. Wird da nicht Hohn und
Spott über das unumstößliche Axiom linksliberaler Aufpasser (Soldaten sind Mörder)
geschüttet? Und das in Zeiten der Wehrmachtsausstellung. Sind Schlager etwa
rechts" und wenn ja sind wir mal wieder so weit"? |