© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/97  20. Juni 1997

 
 
Amsterdam: Der "Euro" wird hart wie die Lira
Schlappe Leistung
Meinungsbeitrag
von Michael Wiesberg

Europapolitik, das ist in diesen Tagen der Tanz um Konvergenzkriterien, Stabilitäts- und Beschäftigungspolitik, Absichtserklärungen und Erwartungshaltungen. Die Erwartungshaltung, die nach dem Amsterdamer EU-Gipfel vorherrscht, läßt sich - legt man die teilweise euphorischen Reaktionen in den deutschen Medien zugrunde - auf die Formel bringen: Der Euro kommt und er wird hart. Die Garantie dafür soll der "Stabilitätspakt" sein, der unverwässert verabschiedet wurde.

Bei Lichte betrachtet ist es den Franzosen gelungen, mit ihrer Forderung nach einem Beschäftigungspakt der Diskussion um den Stabilitätspakt ein sachfremdes Anliegen aufzudrängen, hat doch die Diskussion um Geldwertstabilität nichts mit Beschäftigung, die Sache der nationalen Regierungen ist, zu tun. Niemand käme zum Beispiel auf die Idee, in das Bundesbankgesetz ein Kapitel über Beschäftigung hineinzuschreiben. Beschäftigung kann letztlich nur als Nebenbedingung einer erfolgreichen Stabilitätspolitik zustande kommen. Wer das eine mit dem anderen vermischt, verfolgt Ziele, die mit marktwirtschaftlichen Vorgaben nicht in Deckung zu bringen sind. Und genau hier zeigt sich, wie faul der sogenannte "Kompromiß" von Amsterdam ist. Zu befürchten ist, daß über die angestrebte Modifikation der Abstimmungsverfahren bei EU-Entscheidungsprozessen letztlich doch ein Beschäftigungsprogramm durchgesetzt wird, für das Deutschland zur Kasse gebeten wird. In seiner jetzigen Form nämlich ist die Resolution über eine gemeinsame Beschäftigungspolitik in der EU nur als eine Absichtserklärung, mit der sich die Franzosen auf Dauer nicht zufriedengeben werden.

Es zeigen sich, legt man die deutsche und die franzäsische Perspektive zugrunde, grundsätzlich divergierende wirtschafts- und fiskalpolitische Auffassungen beider Länder, die in einer gemeinsamen Währungsunion zu einem offenen Konflikt zwischen beiden Ländern führen müssen. Dies ist wohl der tiefere Sinn der Äußerungen des außenpolitischen Experten der franzäsischen Tageszeitung Le Monde, Daniel Vernet, der kürzlich schrieb: "Ob dies nun für sie (die Deutschen) angenehm ist oder nicht, die Deutschen müssen wieder damit anfangen, die internationale Politik und ihre Politik in Begriffen von Macht und Gewalt zu überdenken". Ähnlich äußerte sich der dezidierte Euro-Kritiker Emmanuel Todd, der einen wesentlichen Beitrag zum Wahlsieg Chiracs leistete: "Hinter der Euro-Euphorie", so Todd, "steckt der Wille, Deutschland zum Verschwinden zu bringen". Sage also keiner, daß die Franzosen ihre Ambitionen nicht offengelegt hätten.

Es ist bezeichnend, daß das eigentliche Problem auf dem Amsterdamer EU-Gipfel nicht zur Debatte stand. Gemeint sind die gemeinschaftlichen Hilfs- und Haftungsmaßnahmen bei nationalen Krisensituationen, um die Stabilität des Euro zu garantieren ("Bail-out-Effekte"). Diese Haftungsgemeinschaft ist zwar scheinbar durch ¤ 104b des Maastrichter Vertrages (MV) ausgeschlossen. Dennoch kann "Bail-out" durch diverse Hintertüren praktiziert werden. So schreiben Art. 103a Abs. 2 MV ausdrücklich Hilfs- und Haftungsmaßnahmen in besonderen nationalen Krisensituationen vor. Warum "Bail-out" in einer Währungsunion unumgänglich ist, liegt auf der Hand: In einer Währungsunion fehlt die Mäglichkeit, die nationale Staatsschuld durch Inflation abzuwerten. So kommt es zwangsläufig zur Gefahr einer Krise der Finanzmärkte der Gemeinschaft, da die Geschäftsbanken und die institutionellen Anleger im überwältigenden Umfange Kreditgeber des in die Krise geratenen Staates sind. In einer derartigen Situation entsteht ein massiver Druck auf die anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft - und hier insbesondere auf Deutschland - sofortigen finanziellen Beistand zu leisten. Die Alternative hierzu hieße Inflation und damit stetige Abwertung der privaten Guthaben. Auch dies sprach Daniel Vernet an, als er in dem besagten Artikel die Deutschen davor warnte, daß der "Euro das letzte "Opfer"" sei, das sie "im Namen Europas" zu erbringen haben und daß sie "danach nicht mehr "bezahlen" müßten" und die "anderen reichen Staaten an der Reihe seien".

Es zeichnet sich für Deutschland eine Zerreißprobe ab, die sich zur Existenzkrise für unser Land auswachsen kann. Noch sind zum Beispiel die Probleme innerhalb der Gemeinschaft noch nicht geläst, da wird schon darüber geredet, welche osteuropäischen Staaten zur Union stoßen sollen. Und selbstverständlich sind Staaten wie Spanien, Griechenland und Portugal und Irland nicht bereit, auch nur auf eine müde D-Mark aus dem Kohäsions- und Strukturhilfefonds zugunsten der osteuropäischen Staaten zu verzichten. So droht Madrid bereits jetzt mit Blockadepolitik und verlangt eine weitere Aufstockung der Transferzahlungen. Diese belaufen sich für die oben genannten Länder zwischen 1994 und 1999 auf sage und schreibe 140 Milliarden D-Mark aus Strukturhilfemitteln und 30 Milliarden D-Mark aus dem Kohäsionsfond.

Es wird in der Tat hächste Zeit, daß die Deutschen wieder damit anfangen, die internationale Politik und ihre Politik in Begriffen von Macht und Gewalt zu überdenken, wie es Vernet forderte. Ansonsten gibt es über kurz oder lang ein bäses Erwachen.


 
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