© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/97  20. Juni 1997

 
 
Deutschlands Passivität
Kommentar
von Martin Schmidt

Es ist schon eine aberwitzige Situation: Ausgerechnet Frankreich und Italien, deren außenpolitisches Hauptaugenmerk normalerweise Südeuropa, dem Mittelmeerraum und Nordafrika gehärt, werfen ihr Gewicht für eine "Große Läsung" bei der anstehenden ersten Runde der Verhandlungen zur NATO-Osterweiterung in die Waagschale. Und Deutschland, das aus kulturellen, geopolitischen und äkonomischen Gründen prädestiniert wäre als Fürsprecher für eine mäglichst schnelle sicherheitspolitische Anbindung Ostmitteleuropas an den Rest des Kontinents, tut nichts weiter, als dem Plädoyer Clintons vom 12. Juni für die Dreier-Option (Polen, Tschechien und Ungarn) spornstreichs Beifall zu zollen.

Leider ist das weltpolitische Gewicht der Grande Nation nicht mehr das, was es einmal war. So wird der Pariser Einsatz für eine Berücksichtigung Rumäniens und Sloweniens wohl nur eine Randnotiz der Geschichte bleiben. Daran dürfte auch die Erregung von Verteidigungsminister Alain Richard wenig ändern, der auf der NATO-Frühjahrstagung in Brüssel sogar die geplante Rückkehr seines Landes in die westlichen Militärstrukturen in Frage stellte. Da die Militärallianz - bis auf weiteres - kaum ersetzbar ist, gilt es, diese sozusagen zu "europäisieren". In Paris spricht man es offen aus: Die totale Vorherrschaft der Vereinigten Staaten in der NATO muß zugunsten einer Kräfte-Balance beseitigt werden.

Die Behauptung der Bundesregierung, daß eine "kleine Erweiterung" der NATO eine schnellere zweite Runde wahrscheinlicher mache, klingt schon etwas naiv. Man bedenke, mit welchem Hickhack die aktuelle Debatte verbunden ist. Welcher Staatsmann wird da eine Neuauflage schon bis zum Jahr 2001 wollen?
Wenig plausibel klingt auch die Begründung des US-Sonderberaters Rosner für die Dreier-Variante: Demnach sollen die ersten neuen NATO-Mitglieder "nicht nur Sicherheitskonsumenten, sondern auch Sicherheitsproduzenten" sein. Inwieweit dies allerdings stärker auf Polen und Tschechien zutrifft als auf Slowenien, wird wohl für immer das Geheimnis der Clinton-Administration bleiben.

Zwar soll die endgültige Entscheidung über den Kreis der zu den Beitrittsverhandlungen zugelassenen Staaten erst bis zum NATO-Gipfel in Madrid am 8./9. Juli fallen, aber tatsächlich ist wohl schon jetzt alles gelaufen. Die an sich durchaus deutschfreundlichen Slowenen und Rumänen dürfen sich nun bei den Bonnern Politikern "bedanken", deren Servilität gegenüber Washington sich spätestestens jetzt auch in der ästlichen Hälfte des Kontinents rumgesprochen haben dürfte.


 
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