© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/97  27. Juni 1997

 
 
Das Ende der Globalisierung
von Manfred Ritter

Die Geschichte hat uns gelehrt, daß Kulturen und Gesellschaftsordnungen nur bei Beachtung gewisser "Spielregeln" überleben können. Eine davon ist das Bewußtsein, eine Solidargemeinschaft zu bilden, bei der der Einzelne das Wohlergehen der Gesamtheit im Auge behalten muß. Dies drückt sich in Europa – zumindest seit der Französischen Revolution – im Nationalbewußtsein aus. Mit dem Erstarken der Arbeiterbewegung Ende des vergangenen Jahrhunderts kam die Idee der "Internationale" ins Spiel. Etwa seit Mitte unseres Jahrhunderts begannen auch die Kapitalisten die Vorteile einer solchen Politik der Demontage des Nationalen zu entdecken. Man "verkaufte" diese Ideologie im Verein mit den Sozialisten als humanitäre "one-world"-Idee. Dahinter verbarg sich ein zunehmender Wirtschaftsliberalismus, der zunächst den westlichen Staaten sehr gut bekam, weil er (neben dem technischen Fortschritt) zur Wohlstandssteigerung breiter Schichten beitrug. Solange der Westen die Monopole für die Produktion hochwertiger Güter besaß und sie zu Höchstpreisen in aller Welt verkaufen konnte, funktionierte das System auch hervorragend. Nachdem jedoch die volkreichen asiatischen Entwicklungsländer mit Hilfe des von westlichen Konzernen gelieferten "know how" und der dazugehörigen Maschinen zunehmend hochwertige Waren herstellen, kommt Sand ins Getriebe der (westlichen) Hochlohnstaaten.

Der mit dem Schlagwort "Globalisierung" beschriebene weltweite wirtschaftliche Liberalisierungsprozeß mit dem Abbau aller Hemmnissse (wie Zölle) beim Handel und beim Kapitalverkehr ermöglicht es heute den internationalen Konzernen, aufgrund des gewaltigen Gefälles der Produktionskosten zwischen "Hochlohn-" und "Billiglohnländern", Riesengewinne zu machen. Je mehr sich jedoch an diesem Geschäft beteiligen, umso mehr kommen die Wirtschaftskreisläufe aus dem Gleichgewicht. Nachdem die Abwanderung der Industrie aus den Hochlohnländern zunehmend das Ausmaß einer Massenflucht annimmt, geraten die auf Massenwohlstand aufgebauten westlichen Demokratien in existenzielle Schwierigkeiten. Wer diese Entwicklung und ihre Hintergründe näher studieren will, dem kann das in der jungen freiheit bereits besprochene Buch "Die Globalisierungsfalle" von Hans Peter Martin und Harald Schumann sehr empfohlen werden. Die Autoren sind zwar als Redakteure beim Spiegel dem linksliberalen Weltbild verpflichtet. Die damit verbundene Vorliebe für den Internationalismus hat sie jedoch nicht daran gehindert, diesen in seiner kapitalistischen Version als äußerst schädlich darzustellen. Wenn man das Buch liest, kann man sogar von einer Horrorvision des (kapitalistischen) Internationalismus sprechen. Die Autoren belegen ihre Thesen mit einer Fülle von Beweismaterial.

An unsere Politiker ist aber die Frage richten, ob es dieser Beweise überhaupt noch bedarf, da man fast jeden Tag in den Zeitungen von weiteren Abwanderungen deutscher Betriebe ins billigere Ausland lesen kann, ohne daß auch nur annähernd Ersatz für die verlorengegangenen Arbeitsplätze geschaffen wird. Dieser Entwicklung steht man in Bonn völlig hilflos gegenüber. Man kuriert an den Symptomen, betreibt Sozialabbau und – in bezug auf Maastricht – eine staatliche Einsparungspolitik, die nur weitere Arbeitsplätze kostet.

Inzwischen dämmert es sogar einigen unserer linken "one-world"-Politiker, daß die von ihnen geförderten Masseneinwanderungen von Armutsflüchtlingen das Arbeitslosenproblem verschärfen. Trotzdem ist man noch weit entfernt von der Erkenntnis, daß die Ursache des Niedergangs die im Internationalismus wurzelnde Globalisierung der Wirtschaft ist. Auch wenn alle Wirtschaftswissenschaftler auf schrankenlosen Liberalismus schwören und die Folgen dieser Politik ignorieren, soll an dieser Stelle Ludwig Erhard als "Kronzeuge" gegen ihre Thesen aufgerufen werden. Erhard, der von vielen als Stammvater liberaler Wirtschaftspolitik betrachtet wird, würde heute in konsequenter Anwendung seiner sozialen Marktwirtschaft die Globalisierungspolitik ablehnen. Wesentlicher Bestandteil der sozialen (und freien) Marktwirtschaft ist ein fairer Wettbewerb. Dieser setzt die Chancengleichheit der Produzenten voraus. Diese Chancengleichheit müsse der Staat gewährleisten.

Bei uns geschieht das Gegenteil. Die deutschen Produzenten müssen staatlich verordnete Kosten auf sich nehmen, die zu den höchsten der Welt gehören. Die Belastungen durch Löhne, Steuern, Sozialabgaben und Umweltschutzauflagen sind bei uns so hoch, daß es schon fast wie ein Wunder erscheint, daß hier immer noch so viel produziert wird. Aber die produktiven "Lastesel" brechen zunehmend zusammen (jedes Jahr werden neue Pleiterekorde gemeldet) oder verlassen fluchtartig das Land. Ursache ist meist die mörderische Billigkonkurrenz gewisser – von den genannten Kosten weitgehend verschonten – ausländischen Produzenten.

Hier zeigt sich, daß man nicht ungestraft Wirtschaftssysteme mit extrem unterschiedlichem Produktionskostenniveau, ohne staatliche Eingriffe zur Herstellung der Chancengleichheit (wie Schutzzölle) aufeinanderprallen lassen kann. Das hat auch nichts mehr mit einer liberalen sozialen Marktwirtschaft zu tun, sondern ist ein Vernichtungswettbewerb, bei dem der Sieger von vornherein feststeht. Wenn man aber nach staatlichen Schutzmaßnahmen ruft, kommt von den Anhängern der Globalisierungsideologie sofort das Argument, daß Deutschland ein Exportland sei und deshalb alles vermeiden müsse, was andere auf protektionistische Ideen bringen könnte. Im gleichen Maß, wie wir "Exportweltmeister" sind, sind wir allerdings auch "Importweltmeister". Wenn wir unsere Leistungsbilanz (in der Tourismusdefizite, Zahlungen an internationale Organisationen, Geldüberweisungen von Gastarbeitern usw. enthalten sind) ansehen, liegen wir sogar jährlich mit zirka 30 Milliarden DM im Defizit. Unser angeblich so hoher Exportüberschuß reicht also nicht einmal, um diese Defizite zu decken. Unsere Exportabhängigkeit ließe sich erheblich vermindern, wenn die Regierung mit ihren Geldgeschenken ans Ausland sparsamer wäre und wenn wir die Palette der Importgüter einmal daraufhin untersuchen würden, was wir davon bei vernünftiger Abwägung der Kosten selbst produzieren könnten. Die Verlagerung der Produktion und der dazugehörigen Arbeitskräfte vom Exportgeschäft zum – wegen Wegfalls vieler Importe – gesteigerten Inlandsbedarf wäre in den meisten Fällen möglich. Hier soll allerdings keineswegs für eine Rückkehr zur Kleinstaaterei mit einer verkrampften Autarkiepolitik plädiert werden. Größere Wirtschaftsräume sind in Zeiten moderner Technik und guter Verkehrsverbindungen für alle Beteiligten von Vorteil. Deshalb müssen wir für die EU als Wirtschaftsraum eintreten. Aber auch in der Wirtschaft gilt der Grundsatz des vernünftigen Maßhaltens. Gigantismus, der sich im internationalistischen Größenwahn der Globalisierung manifestiert, ist zumindest beim derzeitigen Stand der Weltkultur verhängnisvoll, weil er Unvereinbares miteinander verbinden will.

Die Entwicklungsländer mit ihrer katastrophalen Bevölkerungsexplosion und mit ihren Heeren von billigsten Arbeitskräften würden bei grenzenlosem Freihandel wie bei freier Masseneinwanderung unser hohes Lohnniveau in sozialpolitisch gefährlicher Weise absenken. Nur wenn wir bereit wären, bei uns wieder frühkapitalistische Strukturen einzuführen und uns dem Armutsniveau der Entwicklungsländer weitgehend anzugleichen, könnten wir uns auf dieses Experiment einlassen. Das naive Argument, daß sich die Entwicklungsländer mit Hilfe der Industrialisierung unserem Wohlstandsniveau anpassen könnten, übersieht die Begrenztheit der Ressourcen (Rohstoffe und Energie). Wenn die Bevölkerungsmassen Asiens unseren Rohstoffverbrauch (pro Kopf) auch nur annähernd erreichen würden, stünde die gesamte Industriegesellschaft mangels Rohstoff in wenigen Jahren vor dem Zusammenbruch. Auch ohne Globalisierung dürften die Aussichten für uns nicht allzu rosig sein, und es wird erheblicher Anstrengungen und Strukturänderungen bedürfen, wenn wir weiterhin menschenwürdige Lebensverhältnisse in Europa behalten wollen. Hierzu müssen wir Gegenkonzepte entwickeln, die zwischen Kleinstaaterei und Internationalismus liegen. Das entsprechende Stichwort heißt großräumige Regionalisierung. Danach sollten weltweit große Regionen gebildet werden, die sich bemühen, ihren Bedarf an Industriegütern weitestgehend selbst zu produzieren. Das schließt einen Handel zwischen den Regionen keineswegs aus. Dieser müßte sich jedoch einer vernünftigen Steuerung durch die beteiligten Staaten unterwerfen. Nur so läßt sich eine wirtschaftliche Weiterentwicklung der verschiedenen Regionen dieser Erde ermöglichen, die die kulturellen Wertvorstellungen und Lebensgewohnheiten der beteiligten Völker angemessen berücksichtigt. Und hier sind wir wieder beim Nationalen.

Das Nationalbewußtsein darf sich nicht mehr allein auf Kleinstaaterei beschränken, sondern muß sich offensiv auf größere Kulturräume erweitern. Die Idee eines Europas der Vaterländer kann hier als Vorbild dienen. Dabei muß gegebenenfalls auch einmal das nationale Eigeninteresse gegenüber dem "Europäischen Gemeinwohl" zurückgestellt werden. Hiervon sind viele EU-Länder leider noch weit entfernt, während der deutsche "Musterknabe" zuviel des Guten tut. Trotzdem kommen wir an dem historischen Zwang zu großräumiger gemeinsamer Interessenvertretung nicht vorbei, wenn wir der "one-world"-Ideologie mit ihrer Globalisierungspolitik erfolgreich entgegentreten wollen. Nur so können wir den Untergang unserer nationalen und unserer gemeinsamen europäischen Kultur verhindern.

Die Neue Rechte sollte sich die Gelegenheit, hierzu vernünftige Zukunftskonzepte zu entwerfen, nicht entgehen lassen. Die immer deutlicher sichtbaren verheerenden Folgen der Globalisierungspolitik geben ihr hierzu Gelegenheit. Nur mit einer nationalen Politik kann der internationale Kapitalismus soweit gebändigt werden, daß der Zusammenbruch unseres Wirtschafts- und Sozialsystems verhindert wird. Nationale Parteien in Europa, die dies ihren Wählern verständlich machen können, dürften in Zukunft gute Erfolgsaussichten haben. Die Neue Rechte in Deutschland wäre daher gut beraten, wenn sie sich dieses Themas in Zukunft mit größtem Engagement annehmen würde.


 
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