© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/97  27. Juni 1997

 
 
Pankraz, Uhlenhuth und der Ruf nach Arsen und Spitzenhäubchen

Er steht in jedem modernen Lexikon, sogar in dem "linken" Bertelsmann-Lexikon von 1973: der Bakteriologe Paul Uhlenhuth, "Besieger der Syphilis", Entdecker des Erregers der Weilschen Krankheit, Namensgeber des "Uhlenhuth-Verfahrens" zur Unterscheidung von Menschen- und Tierblut. Jahrzehntelang war er eine Zierde der Freiburger Universität, ewiger Nobelpreiskandidat, seit 1950 Ehrenbürger der Stadt. 1957 ist er im Alter von siebenundachtzig Jahren gestorben. Eine Straße und eine Station an der Uni-Klinik sind nach ihm benannt.

Doch das soll nun anders werden. Der Stadtrat von Freiburg hat die Uhlenhuthstraße umgetauft und übt zusätzlich Druck auf die medizinische Fakultät aus, damit sie auch die Uhlenhuth-Station umtaufe. Uhlenhuth, so heißt es, habe in der Zeit zwischen 1933 und 1945 "eine unkritische Haltung gegenüber dem NS-Regime eingenommen" und habe es "hingenommen", daß damals ein jüdischer Kollege aus seinem Institut verjagt wurde. Die Erinnerung an Uhlenhuth sei "keinem demokratischen Bürger von Freiburg länger zuzumuten".

Pankraz, der sich bisher wenig um die Dauerkomödie der Namensgebungen für Straßen und Institutionen in der BRD gekümmert hat, wollte es im Falle Uhlenhuth einmal genau wissen. Was hat der Mann, der ja schon 1936 emeritiert wurde, wirklich gesagt und getan? Warum zetern die Freiburger Stadtrats-Zeloten ausgerechnet über einen ihrer Ehrenbürger, der seinerzeit mit ausdrücklicher Zustimmung der SPD ins Goldene Buch eingetragen wurde? Was steckt dahinter?

Nun, es steckt gar nichts dahinter. Uhlenhuth hat die Verjagung des Kollegen vor vierundsechzig Jahren keineswegs aktiv betrieben oder auch nur mit hämischen Worten begleitet, sondern er hat sie eben nur "hingenommen". Und er ist auch sonst nicht als NS-Aktivist irgendwie hervorgetreten (nicht einmal à la Heidegger 1933), sondern hat lediglich keine ausdrückliche Kritik geübt, und er ist nicht emigriert, sondern bis zur Emeritierung brav in seinem Institut geblieben. Aber das genügt heute in der Ära Kohl vollauf, um von grünroten Winkelpolitikern posthum beleidigt und durch den Kakao gezogen zu werden, es genügt, damit ein großes wissenschaftliches Werk im Stil altrömischer Diktatoren der "damnatio memoriae" anheimgegeben wird.

Der Fall Uhlenhuth ist ja beileibe kein Einzelfall. Über-all sind die Sbirren der PC unterwegs, stöbern in Stadtplänen und lokalen Biographien, um sofort, wenn sie etwas gefunden zu haben glauben, mit ihrem widerlichen, terroristischen Vergangenheitsbewältigungs-Geheul loszulegen, vor dem dann auch CDU- und CSU-Stadträte (sofern sie der 68er-Generation angehören) regelmäßig in die Knie gehen. "Mitläufer-Bashing" nennt man das in einschlägigen Kreisen, und dieses Mitläufer-Bashing gestaltet sich für die Betreiber außerordentlich lohnend, bringt Ruhm und Geld, mediale Aufmerksamkeit, gegebenenfalls sogar einen Magister- oder Doktortitel.

Je mehr Zeit vergeht, je weniger man wirklich über die Jahre zwischen 1933 und 1945 weiß, umso lauter und unduldsamer wird das Geheul. Es ist eine Art Torschlußpanik. Da die "großen Fische" natürlich längst erledigt sind, schnappt man wie verrückt auch noch nach den allerkleinsten Bissen, nach der Florian-Seidl-Straße in Regensburg beispielsweise oder nach dem Carl-Diem-Weg in Immigrath. Und voller Bewältigungswut dehnt man die Spurensuche auf die "unheilvolle deutsche Geschichte insgesamt" aus.

Die Wilhelms-Universität in Münster – nach wem ist sie benannt? Nach Kaiser Wilhelm II. Aha, da haben wir’s! Benennt sie um, benennt sie um! In Memleben gibt’s eine Otto-der-Große-Straße. Otto der Große? War das nicht der, der die lieben Ungarn und die lieben, lieben Elbslawen angegriffen und ausgerottet hat? Benennt sie um, benennt sie um! Preußische Prinzessinnen und berühmte Chirurgen, die im Dritten Reich Blinddärme herausgenommen haben, germanische Stammeshäuptlinge und hanseatische Kaufleute, die zur Kaiserzeit den dicken Polynesiern im Stillen Ozean Nähmaschinen und Odol-Mundspülung brachten – alles, alles gehört umbenannt, gar nicht zu reden von den skandalöserweise immer noch vorhandenen Rommel-Kasernen oder Werner-von-Haeften-Wegen, die bekanntlich die Namen "reiner Faschisten" tragen.

So tobt das also durchs Land, und der Tanz nimmt sich besonders makaber aus, wenn man sich daran erinnert, daß in den neuen Ländern ja noch zahllose Marx-Engels-Thälmann- oder auch Fritz-Heckert-Straßen, -Plätze, -Wege, -Rondells und sogar -Denkmäler herumstehen, verlaufen, die Stadtpläne verzieren. Was dem Professor Uhlenhuth unrecht ist, ist dem "Professor" Manfred von Ardenne noch lange nicht unbillig, selbst wenn der erste (immerhin) viele Menschen von der Syphilis, der zweite aber keinen einzigen vom Krebs geheilt hat.

Ob nun aber Krebs oder Syphilis, fast am schlimmsten sind zur Zeit der Krebs bzw. die Syphilis in den Köpfen jener Umbenennungs-Fanatiker, jener Spezialisten fürs Mitläufer-Bashing, denen im Verlauf ihrer ("Vergangenheitsbewältigung" genannten) Krankheit jeglicher Sinn für Proportion und Lebenswirklichkeit abgestorben ist. Ein ehrfurchtgebietendes Lebenswerk wie das Uhlenhuths wird von ihnen schlankweg verrechnet mit einer politischen "Haltung", von der sie selbst, erstens, nicht das geringste wirklich wissen und die sie, zweitens, auf Grund ihrer eigenen Minimalbiographien gar nicht zu würdigen imstande sind.

Gegen solche Krankheit hilft wohl weder Arsen, wie es Uhlenhuth seinen Syphilispatienten eingab, noch Überwärmung, wie sie Ardenne an seinen Krebspatienten ausprobierte. Oder vielleicht doch? "Arsen & Überwärmung" (statt Arsen und Spitzenhäubchen) – das wäre möglicherweise eine wirksame Therapie gegen Vergangenheitsbewältigung. Notwendig ist hier Therapie schon lange.


 
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