© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/97  27. Juni 1997

 
 
Realpolitik
Kolumne von Klaus Hornung

Was schon seit längerem zu vermuten war, wurde auf dem Amsterdamer EU-Gipfel bestätigt: Nach Durchsetzung der europäischen Währungsunion, die die Geld- und Währungspolitik "vergemeinschaftet", wird der europäische Integrations-Zug nur mit stark angezogenen Bremsen weiterfahren. Ist der Traum der europäischen "Partner" von einer gezähmten Mark erst einmal erfüllt, wird der Traum deutscher Romantiker von einer "immer engeren" europäischen Integration zunächst einmal beendet.

So konnte es eigentlich nur die Deutschen überraschen, daß in Amsterdam und seinen Beschlüssen wieder ganz unbefangen von "vitalen nationalen Interessen" die Rede war und dies insbesondere in den Kernbereichen der Außen- und Sicherheitspolitik. Was schon bei der europäischen Balkan- und Bosnienpolitik seit 1991 deutlich geworden war, daß sie nämlich Manövrierraum für nationale, vor allem britische und französische Interessen in leichter europäischer Drapierung war (während die Deutschen, wie üblich, vor allem die materiellen Lasten trugen, wie bei der Flüchtlingsaufnahme mit Milliarden-Kosten), das wurde nun in Amsterdam festgeschrieben.

Auch die neue Figur eines künftigen Generalsekretärs des Europäischen Ministerrats für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieser vitale politische Bereich auch künftignationale Domäne bleibt. Daher bleibt es hier beim bisherigen Einstimmigkeitsprinzip und kommt es nicht zu den gerade auch von Bonn so ersehnten Mehrheitsentscheidungen. Entgegen aller Integrations-Rhetorik hat in Amsterdam eine neue Phase europäischer Politik begonnen. Vor allem London und Paris achten darauf, daß die vitalen "nationalen Interessen" gewahrt bleiben.

Auch die deutsche Delegation hat übrigens in Amsterdam diesen neuen europäischen Zug bereits bestiegen, etwa um neue Lasten für die ohnedies welteinmalige deutsche Asylpolitik zu verhindern und die Beschäftigungspolitik in nationaler Zuständigkeit zu behalten. Langsam könnten in Europa – und besonders in Deutschland – romantische Träume vielleicht doch noch von der politischen Vernunft eingeholt werden.

Auch Bonn wird sich damit befreunden müssen, die Prinzipien nationalen Interesses und der Realpolitik wieder stärker zu berücksichtigen als Ausdruck europäischer Normalisierung wie der deutschen Rückkehr in Politik und Geschichte.


 
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