© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/97  27. Juni 1997

 
 
Adolf Endler: Warnung vor Utah
"Schreiben, Eddi, schreiben"
Rezension
von Karl-Heinz Jensen

Derzeit definiert sich Deutschland, scheint’s durch Geld. Ist es knapp, bekommen das Land und seine Leute Angst. "Deutschland vor dem Absturz?" fragt denn auch ein Hamburger Magazin und produziert noch zusätzlich, was die meisten wohl ohnehin schon plagt: schlechte Laune. Wohin man blickt, überall mürrische Gesichter. Und manchmal ist man dann froh, daß die Mehrheit eben meist eine schweigende ist.

Von Gelächter und Wunschkonzert, wie weiland auf der "Titanic", ist auch die schreibende Zunft entfernt. Sie droht mit Untergang (Botho Strauß) oder schlimmer noch: mit neuen Büchern (Christa Wolf). Oder sie verabschiedet sich, endgültig, und zwar gerade jene Zunftgenossen, die uns noch mit Geist zum Nachdenken brachten. Erst Heiner Müller, jetzt Jurek Becker. Der Rest murrt wie Grass über die deutsche Einheit oder kämpft gegen die Stasi-Kollegen im PEN. Wenn gelacht wird, dann beinahe nur noch über Blödsinn der kindischen Sorte, wie Boning, Henscheid, Henschel, Helge Schneider und wie sie alle heißen, mit beinahe nervtötender Infantilität fast täglich beweisen.

Ausgerechnet ein Autor aus Berlin, und zwar aus dem östlichen, schreibt gegen derlei scheinbar unangefochten an: Adolf Endler. Für ihn sind Worte wie Trend und Depression Fremdwörter geblieben. Dabei ist er nicht gerade jung und kam vor vielen, vielen Jahren extra aus dem Westen in die DDR, vermutlich um sie besser zu machen. Und offenbar ist ihm das auf seine Art gelungen, jetzt beglückt er auch das ganze Deutschland; von seiner geräumigen, dennoch chronisch unordentlichen Wohnung aus. Dort besucht ihn dann hin und wieder ein Kollege: "In den letzten zehn Jahren habe ich außer mir selber noch keinen einzigen Poeten getroffen, der sich mit einem relativ ungebrochenen ’Mir geht’s ganz gut’ empfohlen hätte…" (Das liegt aber nicht nur an der schlimmen Lage und den miesepetrigen Dichtern, Endler hätte ja mal Robert Gernhardt einladen können, der einzige aus dem Westen, der ebenso ungebrochen vor sich hin dichtet wie Endler).

Jedenfalls hat Endler Urlaub gemacht, mit seiner Frau Brigitte, die ihn chauffieren durfte. Und darüber hat er ein Buch geschrieben, angetrieben von seiner Frau, die ihm – von der Küche aus? – aufmunternd "Schreiben, Eddi, schreiben" zurief. Das hat er dann auch gemacht, und es ist ein Stück ganz selten gewordener Reiseliteratur entstanden. Jene, heute im Zeitalter der elektronischen Medien und Reisehandbücher, fast ausgestorbene Literaturrichtung, aus der der Leser nicht nur etwas über das bereiste Land erfährt, sondern auch über die Heimat des Autors, über seine Lektüre, kurz: über ihn selbst.

Da sieht der Autor also jene "homeless people" in den ausgestorben wirkenden Geschäftsvierteln von San Francisco oder Los Angeles oder New York. Macht er sich da Sorgen über seine eigene Altersarmut? "Bei nächtlichen Kontrollgängen" denkt er über das zukünftige Berlin nach, das "um Himmels willen" die Winkel und Durchgänge nicht vergessen dürfe, in welchen die Obdachlosen leben könnten. "Ich sehe mich schon jetzt als ’homeless’ im Alter, also sagen wir mal, nach meinem neunzigsten Geburtstag" Anstatt ob der trüben Aussicht melancholisch oder wütend zu werden, sondiert er schon jetzt – in Amerika – vorsorglich das Terrain. Er hält "Ausschau nach einem passabel geschützten Winkel, in welchem man nicht zuletzt eine (mechanische) Schreibmaschine aufstellen und jederzeit lostippen kann".

Oder er nimmt an einer "Lesung" teil, in Big Sur, das einst Henry Miller so eindringlich beschrieben hat. Unverdrossen läßt er sich an die Hand fassen, man tanzt, dann plauscht man über "Selbsterfahrung", erhält und liest wertvolle Tips ("Lerne es, Schnecken zuzuschauen, bastle kleine Zeichen, die Ja bedeuten und verteile sie überall im Haus") und hört sich grinsend die einleitende Autobiographie der Autorin an: "verkommene Familie, Bruder Säufer, Vater – dem Inzest zugeneigtes Menschentier, Mutter – vielleicht Kettenraucherin?" Beinahe hätte er sich verraten, denn eigentlich ging es hier ja um Henry Miller und fast hätte er der "Autorin" zugerufen: "Na, das ist doch das mindeste, was man verlangen darf", doch er unterläßt es, guterzogen. Steckt sich, was in Endlers Amerika einem Attentat gleichkommt, eine Zigarre ins Gesicht, was die Veranstaltung in die Pause kippt, und Endler wieder auf die Straße bringt, verabschiedet auf französisch – offenbar benehmen sich so in Amerika nur freche Franzosen.

So geht das seitenlang und man lacht von einem Kapitel ins nächste, man leidet mit an des Verfassers Beschwerden über das verfettete, gleichzeitig aber nichtrauchende Amerika. Ein Amerika, das sich in diesem Punkt – dem Kampf gegen das Rauchen – überall so ähnlich ist wie der Konsum von Sömmerda dem Konsum von Ahrenshoop, wie der Aldi von Berchtesgarden dem Aldi von Flensburg. Diesem aggressiven Nichtraucher-Kampf fiel – zum Leidwesen der Leser – auch das interessanteste Kapitel "Der Kettenraucher von Mexican Water" zum Opfer, ein Fall von Zensur. Nur angedeutet hier die sieben Flaschen Tequila und viele, viele (in Amerika verbotene) kubanische Havannas.

Es ist ein Rätsel, wie Endler es schafft, dem banalen Land eine Beschreibung entgegenzustellen, das es eigentlich nicht verdient hat. Das Rätsel ist nicht zu entschlüsseln, höchstens zu beschreiben. Endler verbindet früher Gelesenes mit jetzt Gesehenem. Er stellt die Kerouacs und Burroughs, Pynchon D.H. Lawrence gegen den Augenschein und zieht daraus Schlüsse. Was soll er auch anderes machen, wenn er nirgendwo im öffentlichen Raum rauchen darf. Er qualmt wütend, und schreibt. Seitenlange Warnungen an die Leser und starke Verwarnungen an Amerika.

Man schicke ihm, wenn möglich kistenweise Zigarren, auf daß uns das Licht seines Stumpens noch lange literarisch den rechten Weg leuchte. Selten so gelacht. Und das jetzt, wo das Geld knapp wird.

Adolf Endler: Warnung vor Utah, Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1996, 139 Seiten, 29,80 Mark


 
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