© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/97  27. Juni 1997

 
 
Multimedia: Wie neue Technologien den Berufsalltag verändern
Arbeitsplätze der Zukunft
von Frank Liebermann

Neue Technologien haben vor allem im Bereich Multimedia Konsequenzen für den Arbeitsmarkt und den Arbeitsprozeß. Durch Rationalisierungsprozesse verschwinden zwar Arbeitsplätze in den etablierten Sparten. Auf der anderen Seite entstehen aber eine Vielzahl neuer Berufe, alte erhalten neue Inhalte. Vor allem junge Menschen haben umfangreiche Chancen, denn meist sind sie es, die sich mit den neuen Technologien auskennnen.

Der Mangel an Fachkräften treibt seltsame Blüten. Trotz einer gigantischen Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik neigen große Firmen dazu, Arbeitskräfte in den USA anzuwerben. In den USA, dem Ursprungsland der technologischen Revolution, setzen Unternehmen im Jahr 1,5 Milliarden DM mit Multimedia-Systemen um. Im Gegensatz dazu hat Deutschland nur einen Umsatz von 500 Millionen aufzuweisen. Das wird nicht so bleiben.

Die Telekom prognostiziert für das Jahr 2000 einen Umsatz von 13 Milliarden DM. Arbeitnehmer müssen sich in Zukunft nicht mehr durch den morgendlichen Stau kämpfen. Durch die Verschmelzung von Fernsehgeräten, Computern, Kommunikationsgeräten und der Unterhaltungselektronik zu Mulitmediasystemen entstehen vollkommen neue Arbeitsmöglichkeiten. Viele Menschen werden künftig von zu Hause aus ihre Tätigkeiten erledigen. Das hat weitreichende Konsequenzen für die Arbeitszeit: Jeder fängt an und hört auf, wenn er es für notwendig hält. Wer am Wochenende arbeiten will, kann das tun – ohne daß Arbeitnehmervertretungen das blockieren können.

Von Tele-Arbeit versprechen sich die Arbeitgeber eine drastische Senkung der Produktionskosten. Dienstreisen und Bürokosten reduzieren sich auf ein Minimum. Der Grund: Virtuelle Arbeitsräume erlauben es, daß sich die Mitarbeiter von einem oder verschiedenen Unternehmen stundenweise zur Arbeit an gemeinsamen Projekten zusammenfinden. Unternehensübergreifende Kooperationen werden immer einfacher. Lange und unnötige Reisen gehören der Vergangenheit an. Noch ist es üblich, daß Geschäftsleute mit dem Flugzeug um die halbe Welt fliegen, für ein Treffen, das nur einige Stunden dauert.

Es gibt weitere Vorteile: Experten haben festgestellt, daß die Effizienz bei Telefonmeetings höher ist, als bei persönlichen Treffen, da sich die Mitarbeiter auf das wesentliche konzentrieren. Die Soziologen behaupten, daß es sich dabei um einen der bedeutensten Trends der neunziger Jahre handelt. Die meisten Büros und Arbeitsplätze haben sich seit der industriellen Revolution kaum verändert. Die Grundelemente der Arbeitsteilung sind gleich wie früher, in denn meisten Unternehmen bestehen feste Hierarchien und jeder Mitarbeiter verfügt über Statussymbole, die seinen Rang innerhalb eines Unternehmens markieren. So wie in Fabriken das Fließband durch neue Formen der Arbeitsorganisation ersetzt wurde, kommen jetzt neue Strukturen in die Büros.

In den USA, so schätzt das Formschungsunternehmen "Center for the New West", gibt es bereits sechs Millionen berufstätige Menschen, deren Wohnung 900 Kilometer von der Firma entfernt ist. Vor allem das mittlere Management hat Angst vor den neuen Arbeitsplätzen. In den USA ist der neue Trend politisch durchaus erwünscht. Pendlerströme in die Stadt werden ferngehalten, die Urbanisierung und Überfrachtung der Städte wird gestoppt.

Von der Möglichkeit, ohne großen Streß im Büro und mit freier Zeiteinteilung zu Hause zu arbeiten, sind viele Personen begeistert. Vor allem Eltern haben die Möglichkeit, sich um ihre Kinder zu kümmern und berufstätig zu sein. IBM in Stuttgart hat für junge Mütter außerbetriebliche Arbeitsstätten eingerichtet. Der Computerkonzern hat erkannt, welches große Potential die gutausgebildeten jungen Frauen darstellen. Studien belegen, daß dieses Personal besser motiviert ist und effektiver arbeitet als in den Büros. Anders als in Betrieben, wird die Zeit nicht unnötig abgesessen, sondern effektiv gearbeitet.

Der Multimedia-Experte Dirk Reiter von der Unternehmensberatung Roland Berger ist der Auffassung, daß die Technik schon heutzutage ausreicht, um die neuen Arbeitsplätze zu schaffen. Probleme gibt es nur bei der Führungskultur im mittleren Management. Dort ist die Befürchtung groß, an Einfluß zu verlieren, wenn die Mitarbeiter nicht mehr der direkten Kontrolle des Vorgesetzten unterliegen.

Als erstes großes Unternehmen setzt eine amerikanische Werbeagentur dieses Konzept um. Seit Januar müssen die Angestellten des Unternehmens Chiat/Day nicht mehr zu festen Zeiten an ihrem Arbeitsplatz erscheinen. Arbeiten können die Mitarbeiter überall: im Garten, Schwimmbad oder Bett, alles ist möglich. Es gibt nur eine Bedingung. Zu bestimmten Zeiten muß es möglich sein, die Mitarbeiter telefonisch zu erreichen. In der Firma finden nur noch gelegentliche Treffen statt, bei denen grundsätzliche Dinge besprochen werden. Selbst der Boß des Unternehmens hat kein Büro mehr und arbeitet wie alle seine Kollegen.

Noch ist diese Entwicklung am Anfang. In den USA, die der Bundesrepublik einige Jahre voraus ist, gibt es erst jetzt die ersten Produktivitätsschübe. Andererseits gibt es auch negative Entwicklungen. Über Netze lassen Unternehmen Telefonbücher in China erfassen oder Programme in Indien schreiben. Wenn die Infrastruktur dort erst einmal steht, wird der Konkurrenzdruck auch in den Industrieländern härter.


 
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