© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/97  04. Juli 1997

 
 
Multifraktionelle FPÖ
von Martin Hobek

Viele Österreicher schieben gerne eine Pizza in den Herd. Einige wenige nehmen lieber eine Hexe. Vereinzelte Exponenten dieses ultrakonservativen Zirkels, der seine politische Heimat ÖVP verloren hat, zur Gründung einer eigenen Partei längst zu schwach ist und nicht einmal in den höchsten klerikalen Kreisen der katholischen Kirche über mehrheitlichen Rückhalt verfügt, brachten sich in den letzten Jahren in der FPÖ unter. Dort wurden sie akzeptiert, da die übermächtige und aggressive Linke als gemeinsamer Gegner feststand und -steht. Reibereien gab es höchstens mit anderen, areligiösen Cartellverbandsbrüdern, die es verstanden, eine Etage höher quereinzusteigen. Mit seinem dezidiert antilaizistischen Programmvorstoß schenkt Ewald Stadler den 0,3 Prozent Kernkatholiken in der FPÖ Hoffnung auf Erfolge, die bei tatsächlicher Realisierung von den anderen 99,7 Prozent rückgängig gemacht würden. Stadlers Überlegung liegt eine Rechnung Marke Milchmädchen zugrunde, nämlich die sang- und klanglose "Übernahme" von Hunderttausenden schwarzen Wählern ohne den Verlust ehemals roter und immer schon blauer Parteigänger.

Leider ist der Entwurf mit solch suizidalen Dilettantismen durchsetzt. In den Erläuterungen zu Art. IX Abs. 3 findet sich beispielsweise eine Befürwortung des Lauschangriffs. Wer in den Wiener U-Bahn-Stationen tagtäglich mit Unmengen dealender Junkies konfrontiert ist, weiß, daß es lediglich ein einziges Gesetz braucht, damit die Handschellen der machtlosen Kriminalbeamten "Klick" sagen dürfen. Warum beschließt die mit Zweidrittelmehrheit ausgestattete Regierung diese Handhabe nicht bzw. wen sieht sie als wahren Feind der niedergehenden Zweiten Republik? Darüber haben einige FP-Funktionäre offenbar noch nicht nachgedacht. Reicht es nicht aus, wenn einige Privatdetektive und Journalisten schon jetzt den Lauschangriff stillschweigend praktizieren?

Den größten Keil in die FPÖ treibt aber zweifellos der höchst umstrittene, sakrale Artikel V. Leider trägt zu der Unruhe auch jene Handvoll Ständestaatler bei, die eine Chance zur Umwandlung der FPÖ zu erkennen scheint. Wenn ausgerechnet Freund Stelzl in der JF 26/97 meint, daß "anscheinend jede Jahrtausendwende unglaubliche Eiferer und Spinner hervorbringt", stimmt das traurig, denn die von ihm angegriffenen Nationalliberalen haben die Aufnahme verfolgter VP-Flüchtlinge bei Nichtexistenz einer sicheren Drittpartei immer befürwortet. Daß die bislang gerne geduldeten Gäste nun für die Erde die Scheibenförmigkeit festschreiben wollen, ist hoffentlich zum Scheitern verurteilt. Ein in seinem Vorhaben erfolgreicher Ewald Erbakan-Stadler würde nämlich erkennen müssen, daß aus einer FPÖ-Multifraktion über kurz oder lang eine Multifraktur resultiert, und das ist durchaus in der medizinischen Semantik gemeint.


 
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