© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/97  11. Juli 1997

 
 
Jugend 1997: Kaum gefordert, wenig gefördert, oft gefeuert
Sie wollen Zukunft
von Manuel Ochsenreiter und Thorsten Thaler

Sozialarbeiter, Streetworker und Berufsberater haben Hochkonjunktur in Deutschland. Sie sind besorgt um eine Jugend, die zunehmend desillusioniert ist und enttäuscht von den Dogmen der Elterngeneration. Fehlende Ausbildungs- und Arbeitsplätze, die Einschränkung jugendkultureller Angebote und das Unvermögen weiter Teile der Gesellschaft, Jugendlichen eine Perspektive zu vermitteln, haben dazu geführt, daß mittlerweile das Wort von der "betrogenen Jugend" die Runde macht.

Während sowohl die westdeutsche Nach-68er-Generation als auch die staatlich organisierte Jugend in Mitteldeutschland noch wenigstens wirtschaftlich relativ sorgenfrei aufwachsen konnte, sehen sich Jugendliche heute mit nackten Existenzängsten konfrontiert. Ängste, das Leben nicht mehr selbständig auf eine sichere materielle Basis stellen zu können. Da helfen auch die laut Statistik in den kommenden Jahren zu vererbenden Vermögen nicht. Zum einen beglücken sie nicht alle jungen Menschen gleichmäßig, die sich zur Erbengeneration zählen dürfen, zum anderen drohen sie das soziale Gefälle eher noch zu verschärfen.

Nach den am Dienstag dieser Woche veröffentlichten neuesten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg sind Ende Juni 10,4 Prozent der Jugendlichen in Westdeutschland unter 25 Jahren arbeitslos gemeldet. Bei den unter 20jährigen beträgt die Arbeitslosenquote 8,1 Prozent. Für Mitteldeutschland sehen die Zahlen noch düsterer aus: 14,4 Prozent der Jugendlichen unter 25 Jahren und 8,5 Prozent der unter 20jährigen sind ohne Arbeit.

Ähnlich verheerend ist die Situation auf dem Lehrstellenmarkt. Von 640.000 Schulabgängern sind noch immer knapp 320.000 ohne Ausbildungsplatz. Grund genug selbst für Bundesbildungsminister JürgenRüttgers (CDU), Alarm zu schlagen und eine "konzentrierte Kraftanstrengung" einzufordern.

Eltern und Lehrer, Politiker, Intellektuelle und Wissenschaftler stehen den aus diesen Mißständen häufig resultierenden Folgen wie Jugendkriminalität, Drogensucht und Verwahrlosung genauso hilflos gegenüber wie Helmut Kohls Hofstaat, 15 Jahre nach der "geistig-moralischen Wende". Exemplarisch dafür ist der Vorwurf der 14jährigen Hanna, Tochter des Hamburger Abgeordneten der Grün-Alternativen Liste, Norbert Hackbusch (42), den sie ihrem Vater während eines Streitgesprächs im Stern macht: "Du sagst immer nur was dagegen und hast selber überhaupt keine Idee!" So entsteht Sprachlosigkeit zwischen den Generationen.

Auch Unionspolitiker, die sich als "Junge Wilde" verkaufen lassen, erreichen Jugendliche kaum mehr. Selbst schon jenseits der 40, sind ihre Angebote weder neu noch originell. Die Jugend reagiert auf ihre Art. Sie paßt sich nicht mehr an die gesellschaftlichen Reglements an, die über zweieinhalb Jahrzehnte in der Bundesrepublik herrschen. So wächst eine Generation heran, die nichts anderes als Verachtung übrig hat für die Haltung von Pädagogen und Politikern, die nur zu gern alles "problematisieren" und "ausdiskutieren", aber nicht mehr entscheiden.

Jugendliche der späten neunziger Jahre sind mit den Früchten bundesdeutscher Fehlpolitik konfrontiert, doch reagieren sie darauf weder mit einer destruktiv "Null-Bock"-Haltung noch mit einem revolutionären Habitus. Statt dessen stürzen sie sich in Sarkasmus pur und nehmen Zuflucht bei der mittlerweile verstorbenen Rocksängerin Tamara Danz: "Alles wird besser. Aber nichts wird gut!"


 
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