© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/97  11. Juli 1997

 
 
Pankraz, Sanders Staatsbriefe und die Provinzposse von München
von Günter Zehm

Einer veritablen Komödie konnte man jetzt in München beiwohnen, allerdings nicht in den Kammerspielen, sondern im Amtsgericht, wo der Zeitschriften-Herausgeber Dr. Hans-Dietrich Sander wegen "Volksverhetzung" gemäß Paragraph 130 Neufassung angeklagt war. Der Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen hatte gegen ihn Anzeige erstattet, die Münchner Staatsanwaltschaft hatte daraufhin eiligst mehrere Haussuchungen (jeweils um sechs Uhr früh) durchgeführt, anschließend das Verfahren eröffnet: Sander, hieß es, habe in seiner Zeitschrift Staatsbriefe zwei Beiträge veröffentlicht, die den "Holocaust" leugneten.

In dem ersten Aufsatz (von Germar Rudolf) wurden die Positionen der sogenannten Revisionisten beschrieben, im zweiten Beitrag, einer Satire, machte sich ein "Ole Kaust" über den berühmten Berliner Filmproduzenten Arthur ("Atze") Brauner lustig, der kürzlich in aller Öffentlichkeit die von der Forschung längst als alliierte Desinformatsia entlarvte Erzählung von den "NS-Lampenschirmen aus Menschenhaut" wiederaufgewärmt hatte. Dies beweise, so der Verfassungsschutz von NRW, daß Sander ein "übler antisemitischer Agitator" sei.

Die Vernehmung zur Person vermittelte dann aber einen ganz anderen Eindruck. Sander, Theaterwissenschaftler und Politologe, einst Regieassistent bei Bertolt Brecht in Berlin, später Publizist in Hamburg, Zürich und München, erschien da als ein zwar dickköpfiger und radikaler Nachdenker, doch genau als das Gegenteil eines Agitators. Alles muß bei ihm esoterisch, begrifflich-analytisch, steng wissenschaftlich zugehen.

Er hat bei den bekannten jüdischen Gelehrten Edgar Salin und Hans-Joachim Schoeps studiert und promoviert, zwei seiner Bücher sind jüdischen Gelehrten, Oskar Lange und Jacob Taubes, gewidmet, der jüdische Philosoph und Ästhetiker Raymond Klibansky hat sich energisch für ihn eingesetzt. All diesen Herren war Sander über viele Jahre als ständiger Diskussiosnpartner verbunden und zugetan. Keine Spur von Antisemitismus, freilich auch keine Spur von Philosemitismus.

Die Verteidigung beantragte, zwei weitere jüdische Herren, einen Schriftsteller und einen Studiendirektor aus Berlin, die Abonnenten und Mitarbeiter der Staatsbriefe sind, als Entlastungszeugen zu laden. Das Gericht lehnte ab, geriet jedoch anschließend in heillose Schwierigkeiten, als es darum ging, die "Leugnung" zu belegen. Weder bei Rudolf noch bei "Ole Kaust" wurde irgendwas geleugnet. So blieb am Ende nur der freche Ton der Satire, vor allem der Autorenname "Ole Kaust". Darauf stürzte sich der Staatsanwalt; deswegen forderte er neun Monate Gefängnis.

Die Szene gewann kabarettreife Züge. Vergeblich wies die Verteidigung darauf hin, daß die Satire bei uns nicht nur unter dem Schutz der Meinungs-, sondern auch noch unter dem Schutz der Kunstfreiheit stehe, worauf schon Tucholsky in seinem bekannten Weltbühne -Aufsatz "Was darf die Satire?" hingewiesen habe. Vergebens wälzte sie Wörterbücher heran, in denen nachzulesen war, daß "Ole" ein gängiger norddeutscher Vorname sei und "Kaust" sich von dem Wort "kaustisch" ableite, was soviel wie "spöttisch, ätzend" bedeute. "Macht nichts, der Jude wird verbrannt."

Immerhin lautete das Urteil schließlich nicht auf neun Monate Gefängnis, sondern nur auf dreitausend Mark Geldstrafe. Dennoch will Sander in die Revision gehen, und Pankraz kann ihn darin nur bestärken. Wo kommen wir denn hin, wenn jetzt in der BRD schon diffizile satirische Anspielungen, semantische Nuancen justifiziert und kriminalisiert werden? Wo leben wir denn eigentlich, in einem demokratischen Rechtsstaat – oder vielleicht schon in einer Art Zombie-DDR?

Zur selben Zeit wie das Sanderurteil erfolgte übrigens (ebenfalls in München, durch denselben Staatsanwalt) die Abweisung einer Klage wegen Volksverhetzung, die gegen die Initiatoren der berüchtigten Wehrmachtsausstellung, Reemtsma und Heer, eingereicht worden war. Einerseits also Strafe für satirische Nuancen, andererseits grünes Licht für schwerste, gröbste Beleidigungen von Millionen deutscher Staatsbürger – was passiert hier? In welchen Sumpf von Heuchelei und Gemeinheit werden wir hier hineingeführt?

Und noch ein Detail dieser trüben Affäre muß nachdenklich stimmen: In dem Sanderprozeß waren die Zuhörerbänke zwar bis auf den letzten Platz gefüllt, von alten und jungen Frauen und Männern, aber kein einziger Gerichtsreporter oder sonstiger "Medienvertreter" ließ sich blicken. Und das in einer Stadt wie München, mit ihrer affärengeilen Boulevardpresse, die sonst nicht den kleinsten Kriminalfall ausläßt!

In Hinblick auf politische und literaturpolitische Prozesse besteht dort (und wohl nicht nur dort) offenbar eine enge Komplizenschaft zwischen Medien und politischer Justiz. Die Journalisten, zumindest die Chefredakteure und Ressortleiter, führen sich als Büttel der Staatsanwaltschaft auf, als Hilfspolizei, die dafür sorgt, daß um gewisse Vorgänge, die den herrschenden Gewalten peinlich sind, eine Nacht des Schweigens und der Ignoranz gewoben wird. Dergleichen hat es zuletzt in der verflossenen DDR gegeben, und es hat in weiten Kreisen zu der Erkenntnis beigetragen, daß der Untergang dieses Staates unvermeidlich war.

Tatbestände, belehrte einer der Sander-Verteidiger den Staatsanwalt, müssen klar und präzise formuliert sein, weil sich sonst eine totalitäre Gesinnungs-Strafrechtsmentalität entwickelt, unter der bereits die bloße Richtung, die einem nicht paßt, unter Gefängnisdrohung gestellt wird. Vielleicht hätte der Staatsanwalt klarer und präziser operiert, wenn er sich weniger auf die lokale Presse hätte verlassen können. So aber degradierte er das Gericht zur Provinzposse.


 
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